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Über die gesellschaftliche Bedeutung des Amateurfußballs

Einsichten und Perspektiven 1 | 17

aufgelöst – Sport wurde in Kriegszeiten ohnehin fast nur

noch im militärischen Kontext betrieben.

Nach der Kapitulation im Mai 1945 stand im zerstör-

ten Deutschland der Wiederaufbau an, auch im Fußball-

bereich. Vereine wurden auf Geheiß der jeweiligen Besat-

zungsmächte entnazifiziert und durften den Spielbetrieb

unter Auflagen wiederaufnehmen. So erwirkten beispiels-

weise Verantwortliche des VfB Stuttgart bei den US-ameri-

kanischen Besatzungsbehörden schon kurz nach Kriegsende

eine Spielgenehmigung; die Mannschaft konnte bereits am

15. Juli 1945 ein erstes offizielles Spiel austragen.

15

Funktionäre des VfB waren einige Wochen später im

nahegelegenen Fellbach dann mit an der Gründung der

Süddeutschen Oberliga beteiligt, zu deren 16 Gründungs-

mitgliedern auch der FC Bayern und der TSV 1860 Mün-

chen zählten. In den anderen Besatzungszonen sollte es bis

zur Bildung entsprechender Spitzenspielklassen noch ein

paar Monate länger dauern.

16

Erst 1948 wurde schließlich

das erste Mal ein Endspiel um die gesamtdeutsche Meis-

terschaft ausgerichtet. Ein Jahr später kam es zur Wieder-

gründung des DFB.

In den 50er Jahren war es mitunter das aufkommende

Fernsehen – die Bewegtbild- und Tonaufzeichnungen des

Finalerfolgs der DFB-Elf bei der WM 1954 sind heute fest

verankert im kollektiven Gedächtnis der Deutschen –, das

großen Anteil daran hatte, dass der Fußball einen weiteren

Popularitätsschub erlebte. Mit der Einführung der Bun-

desliga, die im Jahr 1963 das Modell der parallel statt-

findenden Regionalmeisterschaften ablöste, etablierte sich

der Fußball endgültig als mediales Unterhaltungsprodukt:

Im selben Jahr ging auch „das aktuelle sportstudio“ mit

der dazugehörigen Berichterstattung auf Sendung und

entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten Formate

in der deutschen Fernsehgeschichte. Der Europa- und

Weltmeistertitelgewinn der DFB-Mannschaft Anfang der

1970er Jahre sind weitere Meilensteine auf seinem Weg

zur populärsten Sportart in Deutschland.

17

15 Vgl. Karl Geisnick: Der Verein aus Bad Cannstatt – VFB Stuttgart, Norderstedt

2014, S. 20.

16 Vgl. Ulrich Matheja: Die deutsche Nationalmannschaft: Vom letzten

Kriegsländerspiel 1942 zum ersten Nachkriegsländerspiel 1950, in: Irseer

Dialoge/Kultur und Wissenschaft interdisziplinär: Europäischer Fußball

im Zweiten Weltkrieg, hg. v. Markwart Herzog/Fabian Brändle, Stuttgart

2015, S. 47–64, hier S. 56.

17 Die genannten Jahreszahlen und Ereignisse stammen, sofern nicht mit ent-

sprechenden Quellen versehen, aus Andreas Stolz: Zeitleiste des modernen

englischen und deutschen Fußballs, in: On and Off the Field – Fußballkultur

in England und Deutschland | Football Culture in England and Germany, hg.

v. Anthony Waine/Kristian Naglo, Wiesbaden 2014, S. 265–278. Sowie Wolf-

gang Behringer: Kulturgeschichte des Sports, Bonn 2012.

Heute sind unter dem Dach des DFB über 6,9 Millionen

Mitglieder organisiert. Sie verteilen sich auf rund 25.000

Fußballvereine. Allein in Bayern sind über 4.600 dieser

Vereine registriert, sie nehmen mit rund 28.000 Mann-

schaften am verbandlich organisierten Spielbetrieb teil.

18

Laut Schätzungen des Bayerischen Fußball-Verbands

(BFV) sind jedes Wochenende (berücksichtigt man Spie-

ler, Trainer, Schiedsrichter, Zuschauer, Vereinsmitarbeiter,

etc.) über eine Million Menschen auf bayerischen Ama-

teurfußballplätzen unterwegs

19

– und zwar Menschen

unterschiedlichster sozialer, kultureller und ethnischer

Herkunft, wie später noch gezeigt werden soll.

Der Fußball ist damit in Bezug auf die Zahl der aktiv

oder passiv teilnehmenden Akteure die mit Abstand popu-

lärste Amateursportart in Deutschland. Hinzu kommt,

dass dem Profibereich, zu dem die drei obersten Ligen des

organisierten Spielbetriebs (1., 2. Bundesliga und 3. Liga)

zu zählen sind, seit Dekaden eine gewaltige mediale Auf-

merksamkeit zuteil wird. Aus diesen Gründen ist der Fuß-

ball als Breiten- und Mediensport derart omnipräsent,

dass nicht wenige Sportfans in Deutschland heute eine

„Fußball-Monokultur“ 

20

beklagen.

18

Alle genannten Daten stammen aus: http://www.dfb.de/fileadmin/_ dfbdam/113011-Mitgliederstatistik_2016.pdf [Stand: 20.12.2016].

19 Hinzu kommen in und außerhalb Bayerns noch hunderttausende Sportle-

rinnen und Sportler, die in sogenannten Freizeitligen („Bunte Ligen“) der

nicht-vereinsorganisierten Form des Fußballspielens nachgehen. Siehe dazu

Richard Gebhardt: Undogmatische Leibesübungen. Ein Porträt des deut-

schen Alternativfußballs, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen

(2010), H. 2, S. 73–84.

20

http://www.tagesspiegel.de/meinung/nach-der-wm-der-fussball-macht- den-sport-zur-monokultur/10210014.html [Stand: 17.11.2016].

Der Titel der Sendung „Das aktuelle Sportstudio“ wird abgefilmt, Mainz 1967.

Foto: sz photo/Fotograf: Sven Simon