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Zur Diskussion gestellt: CETA
Einsichten und Perspektiven 1 | 17
wurde behauptet, ISDS etabliere eine Art von Paralleljustiz,
die ausländischen Unternehmen das Recht einräume, auf
spezielle, Inländern nicht zugängliche Rechtsinstrumente
zugreifen zu können, um damit Rechte einzuklagen, die
Inländern so nicht hätten. Verschiedene Gutachten haben
gezeigt, dass das bisherige ISDS- System tatsächlich Schwä-
chen aufweist.
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Mit CETA wird erstmals in einem Freihandelsabkom-
men das neue
Investor Court System
(ICS) der EU umge-
setzt. Dieses sieht öffentliche Gerichtsverfahren vor, bei
denen von den Vertragsparteien (nicht den Unterneh-
men!) bestimmte Richter über Klagen befinden. Die Rich-
ter werden nach hohen ethischen Standards ausgewählt;
Interessenskonflikte sollen so vermieden werden.
Bestimmungen von CETA außerhalb des Investitions
kapitels (z.B. betreffend Marktzugang) liegen außerhalb des
Anwendungsbereiches von ISDS. Hier sollen Streitigkeiten
mit Hilfe eines eigenen Schlichtungsmechanismus durch
Konsultationen auf Regierungsebene und einem Sachver-
ständigenpanel ausgeräumt werden. Schließlich enthält das
Abkommen Mechanismen für die Einbeziehung verschie-
dener Vertreter der Zivilgesellschaft der EU und Kanadas in
die Umsetzung und Überwachung von CETA.
Das Investitionskapitel enthält eine hohe Zahl von
Klarstellungen, mit denen bislang unklare Rechtsbegriffe
näher definiert werden. Art. 8 (12) stellt klar, dass eine
Vertragspartei eine Investition „weder direkt verstaatli-
chen oder enteignen noch indirekt durch Maßnahmen
gleicher Wirkung wie Verstaatlichung oder Enteignung“
darf, „es sei denn, dies geschieht a) zu einem öffentlichen
Zweck, b) nach einem rechtsstaatlichen Verfahren, c) dis-
kriminierungsfrei und d) gegen Zahlung einer prompten,
adäquaten und effektiven Entschädigung.“
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Des Weiteren wird klargestellt (Art. 8 (9)), dass „die
bloße Tatsache, dass eine Vertragspartei – auch durch
Änderung ihrer Gesetze – Regelungen in einer Art und
Weise trifft, die sich auf eine Investition negativ auswirkt
oder die Erwartungen eines Investors, einschließlich seiner
Gewinnerwartungen, beeinträchtigt, stellt keinen Verstoß
gegen eine Verpflichtung“
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aus dem Investitionskapitel
von CETA dar.
Bei der Unterzeichnung des Abkommens durch Kanada
und die EU wurden gemeinsame Erklärungen
(Joint Inter-
pretative Instruments)
abgegeben, deren formalrechtliche
8 Vgl. Krajewski (wie Anm. 1).
9 Art. 8 (12) CETA.
10 Art. 8 (9) CETA.
Stellung zwar umstritten ist, von denen aber nachMeinung
viele Juristen für die Interpretation von Vertragsbestand-
teilen relevant sein sollten, weil aus ihnen der politische
Wille der Vertragspartner hervorgeht. Diese Erklärungen
bekräftigen die Bedeutung des neuen ICS, des Rechts der
Regierungen auf Regulierungshoheit
(„right to regulate“),
die Rolle öffentlicher Dienstleistungen und die Beibehal-
tung sowie Durchsetzung hoher Standards im Arbeits-
und Umweltrecht.
Am 15. Februar 2017 hat das Europäische Parlament in
Strasbourg demkanadischen FreihandelsabkommenCETA
mit einer Mehrheit von circa 60 Prozent seine Zustimmung
erteilt. Damit können jene Teile des Abkommens vorläufig
in Kraft treten, für die die Europäische Union die alleinige
Zuständigkeit hat. Andere Teile, bei denen eine gemischte
Zuständigkeit vorliegt, können erst rechtskräftig werden,
wenn die Parlamente der Mitgliedstaaten zustimmen. Die
von der vorläufigen Anwendung ausgenommenen Berei-
che betreffen gemäß einer Vereinbarung des europäischen
Rates den Investitionsschutz, den Marktzugang für Port-
folioinvestitionen (ausländische Direktinvestitionen sind
EU-Kompetenz), das ICS, und weitere, weniger bedeu-
tende Bestimmungen (z.B. zu
Camcording).
In Bezug auf
Handel und nachhaltige Entwicklung, sowie Arbeit und
Umwelt wurden im Rat Formulierungen gewählt, die die
vorläufige Anwendung dieser Kapitel unter Achtung der
Aufteilung der Kompetenzen zwischen der EU und den
Mitgliedstaaten ermöglichen.
Ökonomisches Potential von CETA
Im Jahr 2015 nahm Kanada mit einem Bruttonational-
einkommen von 1704 Mrd. US-Dollar den zehnten Platz
unter den Volkswirtschaften der Welt ein.
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Mit rund
35,9 Millionen Einwohnern ist die kanadische Bevölke-
rung etwa mit der von Polen (38,0 Mio.) oder Marokko
(34,4 Mio.) vergleichbar. Damit liegt Kanada auf Platz 38
der bevölkerungsreichsten Staaten. Das kanadische Pro-
Kopf-Einkommen liegt mit 47.540 US-Dollar (Platz 16
weltweit) nur geringfügig über dem deutschen Pro-Kopf-
Einkommen von 45.940 US-Dollar (Platz 19). Unter den
EU-Ländern haben lediglich Luxemburg, Dänemark,
Schweden, Irland und die Niederlande ein höheres Pro-
Kopf-Einkommen als Kanada. Rund 71 Prozent des kana-
dischen BIP entsteht im Dienstleistungssektor. Dies liegt
nur geringfügig über dem Wert für Deutschland (69 Pro-
11 Alle Angaben in diesem Absatz stammen von der Weltbank World Deve-
lopment Indicators 2016 und beziehen sich auf das Jahr 2015, vgl. [Stand:
27.02.2017].