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Einsichten und Perspektiven 1 | 17

Zur Diskussion gestellt: CETA

Das CETA-Abkommen, das in der europäischen Öffent-

lichkeit vor seiner Ratifizierung am 15. Februar 2017

sehr kritisch diskutiert wurde, sieht die Abschaffung von

Zöllen, regulatorische Zusammenarbeit und Investitions-

schutz zwischen EU und Kanada vor. Nach den Simula-

tionsrechnungen des ifo-Instituts könnte das Abkommen

langfristig die Exporte Deutschlands nach Kanada ver-

dreifachen und die Importe verdoppeln. CETA könnte in

Deutschland einen langfristigen Zuwachs des realen Pro-

kopfeinkommens von 0,2 Prozent ermöglichen. Kanada

würde jedoch deutlich stärker profitieren, weil die EU

für Kanada eine deutliche größere relative Bedeutung als

Absatz- und Beschaffungsmarkt hat als umgekehrt. Der

größte Nutznießer in Deutschland ist der Fahrzeugbau;

der Bergbau und Teile des Agri-Food-Bereiches könnten

verlieren. Zur Erreichung dieser positiven Effekte wären

die umstrittenen Investor-Staats-Schiedsgerichte nicht

notwendig. In seiner modernisierten Form setzt aber

gerade das Investitionskapitel neue Standards. Es gibt

keine Anhaltspunkte dafür, dass das Abkommen zu einer

Einschränkung der Gestaltungsspielräume der heimischen

Politik oder zu einer Klageflut gegen den deutschen Staat

führen würde.

1 Dieser Beitrag aktualisiert den Beitrag von Aichele und Felbermayr (2014)

im ifo-Schnelldienst. Es handelt sich hierbei um eine Beschreibung des

Vertragswerkes und um eine grobe ex-ante-Abschätzung der ökonomi-

schen Effekte. Es wird keine juristische Würdigung vorgenommen; eine

ex-post-Quantifizierung der ökonomischen Effekte wird erst einige Jahre

nach Inkrafttreten des Abkommens möglich sein.

Weiterführende Literatur, auf die in diesem ganzen Beitrag Bezug ge-

nommen wird: Rahel Aichele/Gabriel Felbermayr/Inga Heiland: Going

deep: The trade and welfare effects of TTIP, CESifo Working Paper 5150

(2014); Rahel Aichele/Gabriel Felbermayr: CETA: Welche Effekte hat das

EU-Kanada Freihandelsabkommen auf Deutschland, ifo-Schnelldienst

67(22) (2014), S. 20–30; Rahel Aichele/Gabriel Felbermayr/Inga Hei-

land: TTIP and intra-European trade: boon or bane?, Jahrbücher für Na-

tionalökonomie und Statistik/Journal of Economics and Statistics 236(6)

(2016), S. 639–664; Lorenzo Caliendo/Fernando Parro: Estimates of the

Trade and Welfare Effects of NAFTA, Review of Economic Studies: 82(1)

(2015), S. 1–44; Arnaud Costinot/Andrés Rodriguez-Clare: Trade Theory

with Numbers: Quantifying the Consequences of Globalization, Chapter 4

in Gita Gopinath/Elhanan Helpman/Kenneth Rogoff (Hg.): The Handbook

of International Economics, ORT (2014), S. 197–261; Jonathan Eaton/Sa-

muel Kortum: Technology, Geography, and Trade, Econometrica 70 (5), ORT

(2002), S. 1741–1779; EU-Kommission und Kanada: Assessing the costs and benefits of a closer EU – Canada economic partnership (2008), ver- fügbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2008/october/tradoc_ 141032.pdf [Stand: 26.02.2017]; Gabriel Felbermayr/Benedikt Heid/Mario

Larch/Erdal Yalcin: Macroeconomic potentials of transatlantic free trade:

a high resolution perspective for Europe and the world, Economic Policy

30(83)/2015, S. 491–537; Markus Krajewski: Stellungnahme zu Inves-

titionsschutz und Investor-Staat-Streitbeilegung im Transatlantischen

Handels- und Investitionspartnerschaftsabkommen (TTIP), Drucksache zur

Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie des

Deutschen Bundestages 16. März 2015; Jan Ole Voss: Brauchen Investitio-

nen im TTIP Schutz? Überlegungen zum Investitionsschutz im transatlanti-

schen Freihandelsabkommen, WISO Diskurs, November 2014.

Was ist CETA?

Von 2009 bis 2013 verhandelten die EU und Kanada

ein umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen:

CETA –

Comprehensive and Trade Agreement

. Es ist das

bisher umfassendste und modernste bilaterale Handelsab-

kommen der EU. Seit dem Vertrag von Lissabon liegen

neben den Kompetenzen in der klassischen Außenhan-

delspolitik auch ausländische Direktinvestitionen bei der

EU, so dass das Abkommen erstmals auch ein Investiti-

onsschutzkapitel enthält.

2

Bisher wurden zwischen Kanada und der EU handels-

politische Fragen im Kontext eines Rahmenabkommen

aus dem Jahr 1976 besprochen. Dieses begründete aber

keine bilateralen Präferenzen im Zollbereich oder in Regu-

lierungsfragen. Im Jahr 1997 wurde ein Abkommen über

die Zollabwicklung geschlossen. Ein veterinärmedizini-

sches Abkommen aus dem Jahr 1999 regelt den Handel

mit lebenden Tieren und Tierprodukten, 2003 wurde ein

Abkommen zum Handel von alkoholischen Getränken

vereinbart. Die zwei Abmachungen zum zivilen Flugver-

kehr aus dem Jahr 2009 wurden in das CETA-Abkommen

integriert. Die Verhandlungen zu einem modernen und

umfassenden Freihandelsabkommen sind als eine logische

Weiterführung dieser bilateralen Anstrengungen über ein

regelbasiertes und faires Handelssystem zu verstehen.

Nach dem politischen Durchbruch im Oktober 2013

begann eine kontroverse politische Debatte, die sich vor

allem am Investitionskapitel des Abkommens und an den

ursprünglich geplanten Investor-Staat-Schiedsgerichten

entzündete. Die Kontroverse führte zu einer grundlegen-

den Überarbeitung des Kapitels; mehr dazu weiter unten.

Eine weitere wichtige Weichenstellung erfolgte im Som-

mer 2015, als – trotz einer gegenteiligen Empfehlung des

juristischen Dienstes der Europäischen Kommission – das

Abkommen als „gemischtes Abkommen“ tituliert wurde.

Dies bedeutet, dass nach Zustimmung des EU-Parla-

mentes und des Rates Teile des Abkommens vorläufig in

Kraft treten können. Für die finale Ratifikation ist aber

die Zustimmung aller nationalen Parlamente und einiger

Regionalparlamente erforderlich. Die Zustimmung des

EU-Parlamentes erfolgte am 15. Februar 2017; die vorläu-

fige Inkraftsetzung ist im Frühjahr 2017 zu erwarten. Der

Ratifikationsprozess in den Mitgliedsstaaten wird wohl

hingegen einige Jahre in Anspruch nehmen.

2 Von 2010 bis 2014 wurde parallel mit Singapur verhandelt. Auch dieses

Abkommen enthält ein Investitionskapitel. Der Ratifikationsprozess hat

noch nicht begonnen, weil ein Urteil zur Klärung der Natur des Abkommen

(„gemischtes“ Abkommen oder

„EU-only“

-Abkommen“) ausständig ist.