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Mobilisierung durch Populismus?

Einsichten und Perspektiven 1 | 17

Wahlbeteiligung stark vertreten.

23

Hierbei ist vor allem

die Dimension der politischen Gleichheit anzuführen,

welche für jeden Bürger die gleichen Kapazitäten und

Möglichkeiten zur Wahl voraussetzt.

24

Damit werden

die Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen der Bür-

ger explizit in das Gleichheitsideal mit einbezogen und

gleichberechtigt neben die Ideale des gleichen Rechts und

des gleichen Stimmgewichts für jeden Bürger gestellt.

Politische Gleichheit wird somit eng verknüpft mit sozia-

ler Gleichheit.

Weltweit lässt sich allerdings beobachten, dass die

individuelle Wahlbeteiligung von einer Reihe sozioöko-

nomischer Faktoren abhängt und die Wahlbeteiligung

zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen keines-

wegs gleich ist. So bezog sich Arend Lijphart bereits

1997 als Präsident der

American Political Science Associa-

tion

explizit auf eine systematische Verzerrung der Wahl-

beteiligung zuungunsten weniger gut situierter Bürger

und sprach von einem ungelösten Dilemma der Demo-

kratie.

25

Eine höhere formale Bildung und die erlern-

ten kognitiven Fähigkeiten erleichtern beispielsweise

Hürden der Informations- und Entscheidungssuche

im Vorfeld der Wahl. Höher gebildete Personen zeigen

außerdem seltener sozial abweichendes Verhalten, was

in Zusammenhang mit einer wahrgenommenen Wahl-

norm eine Wahlteilnahme ebenfalls wahrscheinlicher

macht. Während zum Beispiel US-Amerikaner/-innen

mit höherem Bildungsabschluss (tertiäre Bildung) zu

mehr als 80 Prozent wählen gehen, ist es nicht einmal

jede/-r zweite US-Bürger/-in ohne höheren Bildungsab-

schluss, der den Gang an die Urne auf sich nimmt.

26

Aktuelle Forschungsergebnisse legen ebenfalls einen

Einfluss des Einkommens auf die Wahlbeteiligung nahe.

Einkommensstarke Gruppen haben ein besonderes

Interesse ihren Einfluss geltend zu machen und wählen

daher überproportional häufig. Zwischen Stadtvierteln

in Duisburg mit besonders hoher (> 6.000 € pro Jahr)

und mit niedriger durchschnittlicher Einzelhandelskauf-

23 Vgl. Armin Schäfer: Der Verlust politischer Gleichheit. Warum die sinkende

Wahlbeteiligung der Demokratie schadet, Frankfurt am Main 2015; vgl.

Kaeding/Haußner/Pieper (wie Anm. 20), Kapitel 2.

24 Vgl. Mikael Persson/Maria Solevid/Richard Öhrvall: Voter Turnout and

Political Equality. Testing the ‘Law of Dispersion’ in a Swedish Natural

Experiment, in: Politics 33 (2013), H. 3, S. 172–184, hier S. 173.

25 Vgl. Arend Lijphart: Unequal Participation: Democracy‘s Unresolved Dilemma,

in: The American Political Science Review 91 (1997), H. 1, S. 1–14, hier S. 1.

26 Vgl. Jens Alber/Ulrich Kohler: Die Ungleichheit der Wahlbeteiligung in

Europa und den USA und die politische Integrationskraft des Sozialstaats,

in: Leviathan 35 (2007), H. 4, S. 510–539, hier S. 525.

kraft

27

pro Einwohner/-in (<4.500 € pro Jahr) unterschei-

det sich die Wahlbeteiligung bei Bundestags- und Europa-

wahlen um fast 40 Prozentpunkte.

28

Auch Arbeitslosigkeit

oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse wirken sich auf

das individuelle Wahlverhalten aus. Fast kein anderer

Indikator steht so sehr für sozialen Abstieg, wie der Verlust

einer Arbeitsstelle. Zwar zeigt sich der Nachteil stärker in

den Vereinigten Staaten als in europäischen Ländern, aber

auch hierzulande kann ein negativer Effekt festgestellt

werden.

29

Besonders auf kleinräumiger Aggregatebene, wo

die Arbeitslosenquote stellvertretend für zahlreiche sozi-

ale Probleme innerhalb von Ländern oder Städten steht,

macht sich der Effekt bemerkbar.

30

Neben den vorgestellten Indikatoren hat die Politikwis-

senschaft eine Fülle an weiteren Erklärungsansätzen hervor-

gebracht. Smets und van Ham identifizieren in 90 Artikeln

über 170 verschiedene Variablen im Zeitraum zwischen

2000 und 2010.

31

Eine vollständige Beschreibung der sozia-

len Schieflage ist daher nicht möglich. Es ist allerdings deut-

lich geworden, dass die Wahlbeteiligung keineswegs gleich-

mäßig in allen sozialen Gruppen sinkt, sondern vor allem

bei Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status.

Vergleicht man dieWählerschaft der AfDmit der Gruppe

der Nichtwähler/-innen, so werden einige Gemeinsamkei-

ten deutlich, aber auch einige Unterschiede. Die sozioöko-

nomischen Eigenschaften der Nichtwähler/-innen ähneln

zum Teil denen der Modernisierungsverlierer/-innen und

damit der klassischen Klientel rechtspopulistischer Par-

teien. Nichtwähler/-innen sind ebenfalls häufig sozial und

politisch exkludiert, bildungsfern und finden sich in prekä-

ren Erwerbsverhältnissen wieder. Dennoch sind die bei-

den Gruppen keinesfalls deckungsgleich. Vor allem aus ihrer

frühen Zeit um die Europawahl 2014 herum besaß die AfD

eine deutlich zu den Nichtwähler/-innen verschiedene Wäh-

lerschaft. Auch 2016 ist die Partei vor allem bei Männern

erfolgreich, während sich in der Wahlbeteiligung meist kein

27 Die Einzelhandelskaufkraft wird von dem Marktforschungsinstitut GfK-

geomarketing erhoben. Die Einzelhandelskaufkraft stellt dabei den Teil

der gesamten Kaufkraft dar, die für den Einzelhandel zur Verfügung steht.

Sie wird hier stellvertretend für ein hohes Haushaltseinkommen genutzt.

28 Vgl. Kaeding/Haußner/Pieper (wie Anm. 20), S. 37.

29 Vgl. Aina Gallego: Unequal Political Participation in Europe, in: International

Journal of Sociology 37 (2007), H. 4, S. 10–25, hier S. 13.

30 Vgl. Stefan Haußner/Michael Kaeding/Joel Wächter: Politische Gleichheit

nicht ohne soziale Gleichheit. Die soziale Schieflage niedriger Wahlbe-

teiligung in Großstädten Nordrhein-Westfalens, in: Journal für Politische

Bildung (2017), H. 1, S. 24–30.

31 Vgl. Kaat Smets/ Carolien van Ham: The embarrassment of riches? A

meta-analysis of individual-level research on voter turnout, in: Electoral

Studies 32 (2013), H. 2, S. 344–359, hier S. 345.