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Mobilisierung durch Populismus?
Einsichten und Perspektiven 1 | 17
Entstehung und Wählerschaft rechtspopulistischer
Parteien in Europa
Als Parteien wie der Front National in Frankreich oder die
italienische Lega Nord ihre erstenWahlerfolge verzeichnen
konnten, wurden diese Ergebnisse von vielen zunächst als
bloße Protesterscheinungen abgetan, die längerfristig wieder
verschwinden würden. Mittlerweile muss allerdings konsta-
tiert werden, dass sich aus einzelnen auftretenden Parteien
eine (west-)europäische Parteienfamilie gebildet hat, die aus
vielen politischen Systemen Europas nicht mehr wegzuden-
ken ist.
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Die Entstehung der rechtspopulistischen Parteien ist
als Gegenbewegung zu der Entwicklung der späten siebziger
Jahre zu verstehen, welche die „Neuen Sozialen Bewegungen“
und die ersten ökologischen Parteien hervorbrachte. Trotz
unterschiedlicher Voraussetzungen und nicht immer einheit-
licher Programmatik entwickelten sich rechtskonservative
Parteien in Westeuropa in etwa zeitgleich. In Skandinavien
waren bereits Ende der siebziger Jahre die sogenannten „Fort-
schrittsparteien“ entstanden, die allerdings bis Anfang der
neunziger Jahre auf nennenswerte Wahlerfolge warten muss-
ten.
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Kurz darauf feierten der französische Front National
unter der Führung von Jean-Marie Le Pen sowie die österrei-
chische FPÖ unter Jörg Haider ihren Aufstieg und etablier-
ten sich als Vorreiter der neuen rechten Bewegung.
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Gegen
Ende der achtziger Jahre breitete sich das Phänomen auch auf
weitere Länder wie die Schweiz, Belgien und die Niederlande
aus und bescherte den dortigen Parteien teilweise zweistellige
Wahlergebnisse. Das Image der rechtspopulistischen Parteien
ist dabei, trotz einiger Regierungsbeteiligungen, immer das
von Protestparteien oder Anti-Parteien-Parteien geblieben.
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Obwohl zumeist derselbe Kern an Parteien gemeint ist,
zirkulieren unterschiedlichste Begrifflichkeiten in der Dis-
kussion. Im englischen Sprachraum ließen sich schon 2007
über 20 unterschiedliche Bezeichnungen finden, die von
extreme right
bis zu
anti-immigrant-party
reichen.
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Auch
im deutschen Sprachraum kursieren die Begriffe rechts
1 Vgl. Frank Decker: Die populistische Herausforderung. Theoretische und
ländervergleichende Perspektiven, in: Frank Decker (Hg.): Populismus,
Wiesbaden 2006, S. 9–32, hier S. 9.
2 Vgl. Frank Decker: Der neue Rechtspopulismus, Wiesbaden 2004, 11 f.
3 Vgl. Hans-Georg Betz: Radikaler Rechtspopulismus im Spannungsfeld
zwischen neoliberalistischen Wirtschaftskonzepten und antiliberaler
autoritärer Ideologie, in: Dietmar Loch (Hg.): Schattenseiten der Globa-
lisierung. Rechtsradikalismus, Rechtspopulismus und separatistischer
Regionalismus in westlichen Demokratien, Frankfurt am Main 2001,
S. 167–185, hier S. 169.
4 Vgl. Lars Rensmann: Populismus und Ideologie, in: Decker, Populismus
(wie Anm. 1), hier S. 60.
5 Vgl. Cas Mudde: Populist Radical Right Parties in Europe, Cambridge 2007.
populistisch, nationalkonservativ oder Rechts-Außen-Partei
oftmals synonym und meinen in jüngster Zeit mit der Alter-
native für Deutschland (AfD) fast immer die gleiche Partei.
Problematisch bei der Begriffsfindung ist dabei unter ande-
rem, dass die Ideologie der meisten rechtspopulistischen
Parteien oft schlecht abgrenzbar ist und auch etablierte
Parteien mit Parlamentssitzen extremistische Elemente in
ihren Programmen aufweisen.
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Während also große Unter-
schiede innerhalb dieser Parteifamilie existieren, lassen sich
drei Gemeinsamkeiten finden, welche hier für eine breite
Definition rechtspopulistischer Parteien dienen: (1) Ein
populistischer Ideologiekern, der an andere Ideologien
angekoppelt werden kann und sich vor allem durch eine
starke Abgrenzung von „Volk“ und „Elite“ auszeichnet.
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(2)
Autoritäre Tendenzen, die sich in einer besonders aggressi-
ven Haltung gegenüber dem politischen Gegner und der
Vorliebe für eine strikt geordnete Gesellschaft, starke Füh-
rung und harte Strafen für Abweichler äußern. Schließlich
(3) eine inhaltliche Vereinnahmung des Gedankens, die
nationale Identität müsse gegen äußere Einflüsse jeglicher
Art geschützt werden.
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Deutschland stellte lange Zeit durch die Abwesenheit
einer erfolgreichen rechtspopulistischen Partei einen Sonder-
fall in Europa dar.
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Seit 2013 und der Gründung der AfD
hat sich dies geändert. Innerhalb kürzester Zeit konnte die
Partei erstaunliche Erfolge einfahren. Bereits sieben Monate
nach ihrer Gründung scheiterte sie bei der Bundestagswahl
2013 mit 4,7 Prozent nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde.
Schon bei der Europawahl 2014 konnte sie dann sieben von
96 deutschen Sitzen im Europäischen Parlament erringen.
Vor allem bei den Landtagswahlen 2016 (s. Graphiken S. 5 f.)
erreichte die AfD kontinuierlich deutlich über zehn Prozent
der Stimmen und wurde in Sachsen-Anhalt und Mecklen-
burg-Vorpommern gar die zweitstärkste Kraft. War die AfD
bei der Bundestagswahl 2013 und Europawahl 2014 noch
vorwiegend als
single-issue-
Partei angetreten
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und nicht
6 Vgl. Daniel Stockemer: The success of radical right-wing parties in Wes-
tern European regions – new challenging findings, in: Journal of Contem-
porary European Studies (2016), S. 1–16, hier S. 3.
7 Vgl. Tim Spier: Modernisierungsverlierer? Die Wählerschaft rechtspopulis-
tischer Parteien in Westeuropa, Wiesbaden 2010, S. 23.
8 Vgl. Stockemer (wie Anm. 6), S. 3.
9 Vgl. Kai Arzheimer: The AfD. Finally a Successful Right-Wing Populist Eu-
rosceptic Party for Germany?, in: West European Politics 38 (2015), H. 3,
S. 535–556, hier S. 540.
10 Vgl. Rüdiger Schmitt-Beck: Euro-Kritik, Wirtschaftspessimismus und Ein-
wanderungsskepsis: Hintergründe des Beinah-Wahlerfolges der Alternati-
ve für Deutschland (AfD) bei der Bundestagswahl 2013, in: Zeitschrift für
Parlamentsfragen (ZParl) 45 (2014), H. 1, S. 94–112, hier S. 97.