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Ägypten – Diktatur reloaded?

Einsichten und Perspektiven 2 | 16

Nachdem Hosni Mubarak im Januar 2011 aus dem Amt gejagt worden war,

dachten viele Ägypter, mit ihm auch die Diktatur vertrieben zu haben. Doch

es folgten Repressionen unter anderen Vorzeichen: Die Muslimbrüder und der

neue Präsident Mohammad Mursi machten sich an eine Umstrukturierung der

Gesellschaft und auch vor den wirtschaftlichen Schwergewichten des Landes

nicht Halt. Unter anderem dies sollte den Islamisten zum Verhängnis werden –

nach dem Militärputsch müssen sie nun dabei zusehen, wie das Regime sie als

„Terroristen“ verfolgt und die Zivilgesellschaft unterdrückt. Die alte Diktatur

hat lediglich ein neues Gesicht: Abd al-Fattah as-Sisi.

Ägypten im Sommer 2011: Hunderte PKWs blockieren

die breite Straße vor dem

Cairo International Stadium

.

Der wild hupende Autokorso bewegt sich im Schne-

ckentempo; ein rotes Meer an Fahnen und schreienden

Menschen vor, neben, auf den Fahrzeugen macht ein

Weiterkommen praktisch unmöglich. Rot, das ist die

Heimtrikotfarbe des Kairoer Fußballclubs

al-Ahly

. Wer

hier heute gelb, blau oder weiß trägt, hat – vorsichtig

gesagt – ein Problem. Manche wagen den Affront, es sind

die Fans der gegnerischen Mannschaft

al-Isma

c

ily

, die aus

dem nordost-ägyptischen Ismailia angereist sind, um ihr

Team zu unterstützen. Einer von ihnen blutet. Ein Stein

hat ihn am Kopf getroffen; ein Kairoer Ultra, er steht auf

einer Fahrzeughaube, hat ihn geschleudert. Diese Szene

des heißen 24. Juni spielt sich ab, bevor die Fans das Sta-

dion überhaupt erst betreten haben.

Eine Gruppe junger deutscher Journalisten – darun-

ter eine Handvoll Frauen – haben sich mit ägyptischen

Kollegen unter die Menge gemischt. „Wenn Du Ägypten

verstehen willst, musst Du ins Stadion“, hatte einer von

ihnen gesagt und uns so vom Besuch überzeugt. Das war

durchaus positiv gemeint. Sagen wir einfach, er wusste es

nicht besser. Nach ausführlicher Erläuterung der gebote-

nen Kleidungsmodalitäten – kein Gelb, kein Blau, kein

Weiß, für die Frauen möglichst lang und weit, ein Kopf-

tuch ist kein Muss – und einer Anreise mit gemischten

Gefühlen findet sich die Gruppe auf ihren Plätzen ein.

Die Fans schreien, lachen, liegen sich beim Tor in den

Armen, als ob es das wichtigste Spiel ihres Lebens wäre.

Die Stimmung im Stadion ist in der Tat nicht mit der in

einem deutschen vergleichbar. Die Zusammensetzung des

Publikums allerdings auch nicht: Eine Frau in der Menge

zu finden ist wie die Suche nach der berühmten Nadel

im Heuhaufen.

Al-Ahly

, der Kairoer Club, gewinnt das

Heimspiel 2:1,

Alhamdulillah

, denken unsere Kollegen,

Gott sei Dank, denken auch wir.

Als wir mit den Menschenmassen aus dem Stadion strö-

men, kippt die Stimmung. Es ist heiß und eng, Aggres-

sion liegt in der Luft. Dutzende Fußballfans umringen

uns Frauen. Verdutzte Kollegen und herbeieilende Helfer

schirmen uns ziemlich erfolglos ab; wir können weder

vor noch zurück. Die Männer greifen uns an alle Körper-

teile, die sie zu fassen bekommen: an Po, Bauch, Brust.

Es kommt zu einem Handgemenge, in dem schwer zu

erkennen ist, wer uns schützen will und wer uns angreift.

Empörte Ägypter drängen einen unserer deutschen Kolle-

gen – seine Eltern stammen aus dem Iran – von uns weg,

im Glauben, uns damit zu helfen. Die Situation entspannt

sich erst, als wir von Soldaten durch einen Hinterausgang

des Stadions evakuiert werden. Einer von ihnen ist sicht-

lich betreten. Und schreibt seine Nummer auf. Nur für

den Fall, dass es auf dem Heimweg zu weiteren Problemen

kommt.

Vorbild und „Garant für Stabilität“

Warum heute über diesen Vorfall schreiben? Die Diskus-

sion über das Frauenbild arabischer, ja explizit nordafrika-

nischer Männer, befand sich in Deutschland vor wenigen

Monaten, nach der Kölner Silvesternacht auf dem Höhe-

punkt, als die sexualisierte Gewalt am Hauptbahnhof

eskalierte. Die übergriffigen Männer im Stadion waren

Ägypter, Staatsangehörige des größten arabischen Landes

(diejenigen, die halfen, übrigens auch). Dass die ägypti-

sche eine patriarchale Gesellschaft ist, in der die Gleichbe-

rechtigung von Mann und Frau in weiter Ferne liegt, bele-

gen nicht zuletzt unzählige ägyptische NGOs, die genau

dies zu ändern versuchen: Frauenrechte, Homosexuellen-

rechte, Emanzipation von familiären Strukturen stehen