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Von der Perestroika zur Katastroika, Teil 2

Einsichten und Perspektiven 2 | 16

Grundlage vom Fortbestand der Sowjetföderation zu über-

zeugen. Bei diesen nach dem bei Moskau gelegenen präsi-

dialen Landsitz Nowo Ogarewo benannten Verhandlungen

machte Gorbatschow den neun noch föderationswilligen

Sowjetrepubliken und der russische Teilrepublik (deshalb

die Formel „9 plus 1“) jetzt Zugeständnisse, die er zuvor

rigoros abgelehnt hatte. Er stimmte der weitgehenden

Föderalisierung der Machtstrukturen zu, um zumindest ein

Mindestmaß an Unionsgewalt gegenüber der Verselbstän-

digung der Sowjetrepubliken zu bewahren. Aber auf diesem

explosiven Problemfeld sollte sich Gorbatschows berühmt

gewordener Satz „Wer zu spät kommt, den bestraft das

Leben“ bewahrheiten. Der letzte, verzweifelte Konsolidie-

rungsversuch brachte die Kritiker keineswegs zumVerstum-

men. Die Vertreter einzelner Sowjetrepubliken witterten

hinter dem Kompromiss nur ein weiteres Moskauer Macht-

manöver. Auch gingen ihnen die neuen Unionsstrukturen

oftmals nicht weit genug, nachdem sich seit den Souverä-

nitätswellen die politischen Gewichte doch zunehmend zu

Gunsten der Sowjetrepubliken verschoben hatten. 

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77 Lozo (wie Anm. 76), S. 65–112; Brown (wie Anm. 25), S. 467–479.

Der August-Putsch 1991 und der bereitwillige

Abschied vom Sowjetimperium

Besonders unzufrieden mit dem neuen Föderationsent-

wurf zeigten sich die zentralistischen Unionsbewahrer,

die dem konservativen Flügel der Kommunistischen Par-

tei angehörten und die Interessen bedeutender Moskauer

Zentralbehörden vertraten. Wegen der geplanten Verschie-

bung der politischen Kraftfelder fürchteten sie um ihre

Machtbefugnisse. Am 19. August 1991, wenige Tage vor

der abgesprochenen Unterzeichnung des neuen Unions-

vertrags, ließ ein selbsternanntes „Staatskomitee für den

Ausnahmezustand“ Gorbatschow in seinem Feriendomizil

auf der Halbinsel Krim unter Hausarrest stellen, um in

Moskau die Macht zu übernehmen. Dieser dilettantische

Putschversuch der Verlierer der Perestroika scheiterte nach

drei Tagen. Unter der Führung von Jelzin, der im Juni

1991 vom russischen Volk zum russischen Präsidenten

gewählt worden war, hatte sich breiter gesellschaftlicher

Widerstand organisiert und verhindert, dass die Putschis-

ten das Rad der sowjetischen Geschichte zurückdrehten. 

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Der missglückte restaurative Staatsstreich bedeutete den

endgültigen politischen Bankrott Gorbatschows. Er war es

gewesen, der mit der „Wende nach rechts“ imWinter 1990

seine bisherigen Mitstreiter Ryschkow und Schewardnadse

vor den Kopf gestoßen und anschließend seine Politik der

Perestroika in die Hände der späteren Putschisten gege-

ben hatte, denen der neue sowjetische Ministerpräsident

Valentin Pawlow und der sowjetische Vizepräsident Gen-

nadi Janajew vorstanden. Mit seinem lavierenden Doppel-

spiel hatte sich Gorbatschow in eine Sackgasse manövriert

und war damit als Staatspräsident der Sowjetunion in eine

selbst verschuldete politische Paralyse geraten.

Als Gorbatschow von der Krim wieder nach Moskau

zurückkehrte, musste er auf Druck Jelzins zum einen ein

Dekret unterschreiben, das die Kommunistische Partei

verbot. Zum anderen erlebte er, wie eine Sowjetrepublik

nach der anderen ihre Unabhängigkeit erklärte und diese

Abspaltung vom sowjetischen Unionsstaat bei Volksab-

stimmungen stets mit großer Mehrheit sanktioniert wurde.

Sowohl die politische Elite als auch der überwiegende Teil

der Bevölkerung nahm Ende des Jahres 1991 bereitwillig

Abschied vom Sowjetimperium. Sie glaubten damals, als

unabhängige Staaten auf sich allein gestellt den anstehen-

den Epochenumbruch besser bewältigen zu können. 

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78 Die beste historische Untersuchung des August-Putsches bietet Lozo (wie

Anm. 76).

79 Huber (wie Anm. 3), S. 246–251.

Am 13. Januar 1991 besetzen sowjetische Truppen mit Gewalt das Rund-

funk- und Fernsehzentrum in Vilnius. Straßensperren sollen den Vormarsch

der Truppen verhindern.

Foto: picture alliance/dpa