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Von der Perestroika zur Katastroika, Teil 2

Einsichten und Perspektiven 2 | 16

republiken stattfindenden freien Parlamentswahlen gingen

daraus entweder die Protagonisten der nationalen Bewe-

gungen – der sogenannten Volksfronten – als Sieger hervor

oder kommunistische Parteifunktionäre, die sich zu Vor-

kämpfern des Nationalen umgefärbt hatten und gleichfalls

für die Sezession eintraten. Das machte die Situation für die

Moskauer Zentralmacht immer verfahrener. 

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Ohne Billigung Gorbatschows, aber mit Unterstützung

aus der Moskauer Unionszentrale versuchten am 13. Januar

1991 in Vilnius moskautreue Kräfte gewaltsam die Macht

in Litauen zu übernehmen. Der imperial-kommunistische

Umsturz scheiterte jedoch am starken Widerstandswillen

der litauischen Bevölkerung. Viele andere Sowjetrepubliken

erklärten sich solidarisch mit den Litauern. Selbst in Mos-

kau gingen am 20. Januar 1991 über 200.000 Menschen

auf die Straße, um gegen den Gewalteinsatz zu demonstrie-

ren. Als Antwort auf die blutigen Ereignisse ließ die litaui-

sche Führung am 9. Februar 1991 ein Referendum abhal-

ten. Bei einer Wahlbeteiligung von 85 Prozent stimmten

90 Prozent der Wähler für ein unabhängiges Litauen, das

74 Gerhard Simon: List der Geschichte. Die Perestrojka, der Mauerfall und das

Ende der Sowjetunion, in: Osteuropa 59 (2009), H. 2–3, S. 119–132.

schon bald internationale Anerkennung fand. Damit war

der erste Dominostein gefallen. Im Frühjahr 1991 erklärten

dann Estland, Lettland und Georgien nach ähnlich eindeu-

tigen Referenden gleichfalls den Austritt aus der Sowjet-

union und ihre Unabhängigkeit. 

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Diese dramatischen Entwicklungen machten aus dem

Reformer Gorbatschow bald einen unglücklichen Reichs-

verweser. Als sowjetischer Präsident ließ er am 17. März

1991 noch einmal die gesamte Sowjetbevölkerung über

den Erhalt eines demokratischen sowjetischen Gesamt-

staats abstimmen. Zwar sprach sich eine Mehrheit für eine

grundlegend reformierte Union aus; viele Sowjetrepub-

liken hatten aber die Volksabstimmung boykottiert oder

zusätzliche Fragen in das Referendum aufgenommen, um

die Gegner Gorbatschows zu stärken. 

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In seinem verzweifelten Kampf um den Erhalt der Union

und damit um sein politisches Überleben startete Gorba-

tschow im April 1991 seinen letzten Rettungsversuch, die

noch verbliebenen Sowjetrepubliken auf neuer vertraglicher

75 Huber (wie Anm. 3), S. 150–172; Brown (wie Anm. 25), 457–464.

76 Ignaz Lozo: Der Putsch gegen Gorbatschow und das Ende der Sowjetunion,

Köln 2014, S. 61–64.

Litauische Sowjetbürger demonstrieren für die Unabhängigkeit ihres Landes von der Sowjetunion.

Foto: picture alliance/dpa