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Von der Perestroika zur Katastroika
Einsichten und Perspektiven 1 | 16
Land sichtbar entglitten war und der den Überblick und
den Anschluss an die Entwicklungen der Zeit längst verlo-
ren hatte.
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Mit der sich immer weiter zuspitzenden Wirt-
schaftsmisere schlug die ökonomische Perestroika in eine
Katastroika
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um.
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Sie bürdete den Nachfolgern Gorbat-
schows nicht nur eine schwere ökonomische Erbmasse auf;
der wirtschaftliche Kollaps mutete den Sowjetbürgern vor
allem auch viele Entbehrungen und große Not zu.
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65 Lozo (wie Anm. 63), S. 36.
66 Der Begriff Katastroika ist erstmals von einem sowjetischen Dissident in
Umlauf gebracht worden. Vgl. Alexander Sinowjew: Katastrojka: Gorbat-
schows potjemkinsche Dörfer, Frankfurt 1988. Danach wurde es in der
Sowjetunion zum geflügelten Wort. In der Forschung wird es wiederholt
für die Zeit nach 1989 verwendet. Vgl. Philip Hanson: From Stagnation to
Catastroika. Commentaries on the Soviet Economy, 1983–1991, New York
1992; Klaus Gestwa: Katastrojka und Super-GAU. Die Nuklearmoderne
in Zeiten von Tschernobyl und Fukushima, in: Katharina Kucher, Gregor
Thum und Sören Urbansky (Hg.): Stille Revolutionen. Die Neuformierung
der Welt seit 1989, Frankfurt/Main 2013, S. 57–72.
67 Klaus Gestwa: Sicherheit in der Sowjetunion 1988/89. Perestrojka als
missglückter Tanz auf dem zivilisatorischen Vulkan, in: Matthias Stadel-
mann/Lilia Antipow (Hg.): Schlüsseljahre. Zentrale Konstellationen der
mittel- und osteuropäischen Geschichte. Festschrift für Helmut Altrichter
zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2011, S. 449–467.
68 Neutatz (wie Anm. 31), S. 521–526.
Im historischen Rückblick zeigt sich, dass Gorbatschow
und sein Team die zuvor aufgeschobenen ökonomischen
Anpassungs- und Modernisierungsprobleme zwar durch-
aus zutreffend diagnostiziert hatten, sie es jedoch nicht
vermochten, ein kohärentes Wirtschaftsprogramm zu
erarbeiten und es auch konsequent umzusetzen. Ihre in
Angriff genommenen Reformpakete blieben stets Stück-
werk. Wirtschaftshistoriker sprechen von einem „kon-
fusen“ und „chaotischen Prozess“.
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Statt Lösungen auf
den Weg zu bringen, schufen die inkonsequenten Maß-
nahmen oftmals nur weitere Probleme und forcierten
damit den Abwärtstrend.
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Während der sechsjährigen
Regierungszeit Gorbatschows entwickelte sich der von
der Breschnew-Generation hinterlassene ökonomisch
marode Sozialismus darum zu einem bankrotten Sozia-
lismus.
69 Vgl. z.B. Hanson (wie Anm. 49), S. 194 f.
70 Manfred Hildermeier: Geschichte der Sowjetunion 1917–1991. Entste-
hung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates. München 1998,
S. 1042.
Die SED-Führung um Gorbatschow und Ryžkov 1991. Ratlosigkeit angesichts der wirtschaftlichen Notlage. Die Sowjetunion steht 1991 vor dem Staatsbankrott.
Foto: ullstein bild – SPUTNIK