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hin. Die unterschiedliche Blattqualität und -größe wiederum verrät die

erst später erfolgte Bindung der Vorlagensammlung. Kuen nummerierte

außerdem jede einzelne Zeichnung und nicht die Seiten oder Blätter

des Buches. Er ordnete die Motivsammlung nicht nach thematischen

Gesichtspunkten, sondern nach der für den praktischen Gebrauch nütz-

lichen Einteilung in Einzelfiguren, kleinere Figurengruppen und Aus-

schnitten aus größeren Kompositionszusammenhängen. Die Anordnung

im Skizzenbuch und die Anwendung des von Kuen gesammelten Vorla-

genschatzes in seinemWerk stimmen dabei imhohenMaße überein. So

konnte Kuen in seinemDeckengemälde inMatzenhofen beispielsweise die

Figurengruppe der um göttlichen Beistand flehenden Gebrechlichen zwar

als Bildzitat aus seiner Skizze nach einemEntwurf von Tiepolo überneh-

men, setzte diese Szene aber in einen vollkommen anderen Bildzusammen-

hang ein.

In der Pfarrkirche in Eresing wiederum verwan-

delte Kuen kurzerhand Tiepolos Komposition der

Rosenkranzspende aus der venezianischen Gesuati-

Kirche in eine Verleihung des Skapuliers an den hl.

Simon Stock. Beide Beispiele sind also keineswegs

bloße Plagiate, vielmehr verstand es der Künstler,

mit seinen Übernahmen von Tiepolos Bilderfin-

dungen etwas Neues zu kreieren.

ines der reizvollsten Blätter des Skiz-

zenbuches ist die nackte, von Pluto um-

schlungene Proserpina, die den Betrach-

ter aus der Ferne von oben herab anblickt.

Kuen separierte hier eine einzelne Nebenszene aus

der großflächigen Darstellung Tiepolos über dem

Festbankett der Kleopatra imBallsaal des Palazzo

Labia in Venedig. Herausgelöst aus ihremursprüng-

lichen Kompositionszusammenhang entwickelte

Kuen mit schwarzem Stift, grauen Lavierungen

undWeißhöhungen auf blauemPapier seine Zeich-

nung zu einer eigenständigen Szene. Allein die Be-

schriftung auf der Rückseite des Blattes, welche die

Farbigkeit des Freskos notiert, verweist auf ihren

utilitaristischen Entstehungshintergrund.

Zudemunterzog der Maler die venezianischenMo-

tive einer Anpassung an die örtliche süddeutsche

Lesart, indem er die für Tiepolo charakteristische,

extreme perspektivische Untersicht milderte. Ent-

gegen der weit entrückten himmlischen Gescheh-

nisse in den Deckengemälden Tiepolos zeichnen

aviso 1 | 2018

SKIZZE UND IDEE

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