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Otto von Bismarck – Erblast und Erbe
Wie die folgenden Bilder zeigen, wurde Bismarck als prägender
Politiker der deutschen bzw. europäischen Geschichte im 19.
Jahrhundert auf vielfältigste Weise rezipiert, so zum Beispiel in
diesem Huldigungsporträt aus dem Jahr 1898: „Germania ihrem
Bismarck“.
Quelle:
Niederlage bescherte. Dies hinderte ihn freilich nicht daran,
alsbald die sogenannte „Lückentheorie“ zu Grabe zu tra-
gen, mit der er bislang sein budgetloses und verfassungswid-
riges Regiment gerechtfertigt hatte. Zum Entsetzen seiner
konservativen Gesinnungsfreunde annektierte er kurzer-
hand ganze Bundesstaaten, allen voran das KönigreichHan-
nover, und machte mit der „Indemnitätsvorlage“ unvermit-
telt seinen Frieden mit dem Parlament, – ein wohlkalkulier-
ter
Schachzug,
der,
mit
Hintersinn
angesetzt,
die
bürgerliche Opposition schwächte statt stärkte, und in Bis-
marckfreunde und Bismarckgegner zerschlug. Er hatte ge-
nau kalkuliert, dass die Prinzipienreiter von gestern vor sei-
ner erfolgreichen Macht- und Erfolgspolitik im Dienste
Preußens kapitulieren würden.
Für die Wahlen zum Norddeutschen Bundestag
und später zum Reichstag führte er, europaweit einzigartig,
1
Bismarck an Edwin von Manteuffel, 11.08.1866, in: Otto von Bismarck: Werke in Auswahl. Jahrhundert-Ausgabe zum 23. September 1862,
hg. von Gustav Adolf Rein u.a., Darmstadt 1965, Bd. 3, Nr. 593, S. 797.
2
Gespräch mit Viktor von Unruh Mitte März 1859 in: Bismarck (wie Anm. 1), Bd. 2, Nr. 100, S. 255 f.
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rung des deutschen Potenzials unter preußischer Verfü-
gungsgewalt, so war das andere darauf ausgerichtet, dem
königlichen Regiment neue Legitimationsquellen zu er-
schließen und dieses, jenseits des hergebrachten Gottesgna-
dentums, zeitgemäß und plebiszitär zu verankern: durch ei-
ne erfolgsorientierte Risiko- und Kriegspolitik nach außen,
um die widerstrebenden Kräfte im Innern unter Loyalitäts-
druck und Integrationszwang zu setzen, und durch eine
partielle und wohldosierte Partizipation von Volk und Par-
teien am Staatsleben.
Schon zu Zeiten seiner Tätigkeit als Gesandter
Preußens in Frankfurt am Deutschen Bund hatte Bismarck
begriffen, daß eine Neuauflage der alten Metternichschen
Dammbaupolitik aus dem „Vormärz“ in die Sackgasse führ-
te, und dass das antirevolutionäre Rezept des hergebrachten
Hochkonservatismus, von Repression und von „Autorität,
statt Majorität“, über kurz oder lang den Systemwechsel he-
raufbeschwor. Die Kräfte der Veränderung in einer moder-
nen, industrialisierten Gesellschaft ließen sich weder stillle-
gen noch unterdrücken, nur kanalisieren und an die Leine
der Staatsräson legen. Die Bismarck vorschwebende Spiel-
art moderner konservativer Politik, die ein Novum in der
preußischen und deutschen Geschichte darstellte, war die
Lenkung, Korrumpierung und Spaltung der oppositionel-
len Potenzen. In Bismarcks nachgerade berühmt geworde-
nem Satz: „Soll Revolution sein, so wollen wir sie lieber
machen, als erleiden“,
1
zog sich diese Überzeugung zusam-
men.
Entsprechend subtil, kalkuliert und ohne ideologi-
sche Barrieren handhabte er seine Instrumente. Nach seiner
Berufung als „Konfliktminister“ im Herbst 1862 auf dem
Höhepunkt des Heeres- und Verfassungskonfliktes, als es
um den Fortbestand der alten preußischen Königstradition
ging, ließ er am Bundestag in Frankfurt mehrfach den An-
trag auf Einberufung eines deutschen Nationalparlamentes
stellen. In deutlichem Anklang an das Schattenreich der Li-
beralen der Paulskirche sollten damit zum einen das habs-
burgische
Vielvölkergebilde
und
der
einer
Einigung
Deutschlands widerstrebende einzelstaatliche Partikularis-
mus der Bundesfürsten ausmanövriert werden. Zum ande-
ren zielte Bismarck damit auf die Sympathien der von den
Liberalen getragenen Nationalbewegung, gemäß seiner Er-
kenntnis vom März 1859: „Der alleinige, zuverlässige, aus-
dauernde Alliierte, welchen Preußen haben kann, wenn es
sich danach benimmt, ist das deutsche Volk.“
2
Nach dem grandiosen Sieg bei Königgrätz im Juli
1866 ließ er das preußische Abgeordnetenhaus neu wählen,
was den oppositionellen Liberalen eine erdrutschartige
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