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Otto von Bismarck – Erblast und Erbe
Auch die NS-Propaganda interpretierte Bismarck als Ahnen der
NS-Bewegung: Postkarte aus dem Jahr 1933.
Quelle: Historische Bildpostkarten – Universität Osnabrück Sammlung Prof. Dr.
Sabine Giesbrecht,
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In der Weimarer Republik vereinnahmte unter anderem die
DNVP (Deutsch-Nationale Volkspartei) Bismarck für sich, hier
auf einem Wahlplakat zur Reichstagswahl am 31. Juli 1932.
Quelle: Süddeutsche Zeitung Photo/Fotograf: Scherl
spaltenen Gebilde gemeinsame Orientierung und Identifi-
kationspunkt verlieh.
Noch stärker galt dies nach 1918, nach der Kriegs-
niederlage, nach dem Versailler „Schandfrieden“ und inmit-
ten der jungen Republik, als die politische Rechte mit ihrem
Schlachtruf
„Zurück
zu
Bismarck“
seiner
kolossalen
Führerfigur huldigte, in der glorreichen Vergangenheit
schwelgte und in deren Heldentaten Daseinssinn, Zusam-
menhalt und Neuanfang suchte. Es kam nicht von ungefähr,
wenn sich die Historiker der Weimarer Republik seit 1924
daran machten, mit der Herausgabe der „Gesammelten
Werke“ Bismarcks der Tristesse der Gegenwart zu entflie-
hen, um, wie es hieß, „unserer heranwachsenden Jugend
und der kommenden Führerschicht unseres Volkes […] ein
leuchtendes Vorbild“ zu geben, „in welcher Weise sie das
Ziel, Deutschlands Macht und Größe wiederherzustellen,
erreichen kann.“
Bis zur Indienstnahme des Bismarckmythos durch
die Nationalsozialisten war es kein weiter Weg. Die Be-
schwörung der Wiedergeburt von Nation und Führer im
sogenannten „Dritten Reich“, konzentriert auf Bismarck
und Hitler als analoge Integrationsfiguren, diente zunächst
dazu, die nationalsozialistische Bewegung in die preußische
Traditionslinie zu rücken. In den späten dreißiger Jahren
machte dies dann mehr und mehr einer Instrumentalisie-
rung Bismarcks Platz: als propagandistisches Versatzstück
zur Verankerung der nationalsozialistischen Ideologie im
Volk und als bloßer Vorbote einer noch gewaltigeren und
noch geschichtsmächtigeren Führerfigur.
Nichts verdeutlicht dies eindrücklicher, als die bei-
den Bismarck-Filme von 1940 und 1942: „Die Reichsgrün-
dung“ und „Die Entlassung“. Der Film von 1940 nahm Bis-
marck ganz ungeniert für die Rechtfertigung der NS-Welt-
anschauung in Dienst, wenn das Cohen-Blindsche Attentat
vom Mai 1866 als Werk eines hasserfüllten Juden gebrand-
markt wurde; wenn in der Gestalt von Bismarcks parlamen-
tarischen Gegnern die ganze Sinnlosigkeit und Ineffizienz
des demokratischen Betriebes vorgeführt wurde, dessen
kleinmütige und eifernde Geister die große Vision von
„Blut und Eisen“ einfach nicht erkennen wollten; wenn der
Geheimnisverrat und die Illoyalität der aus England stam-
menden Kronprinzessin Victoria mit dem Ideal des deut-
schen Frauenbildes so augenfällig kontrastiert wurde: dem
von Bismarcks Frau Johanna als aufopferungsvolle Diene-
rin ihres Gatten; und wenn der machtlüsterne Napoleon III.
sich ungebührlicher Einmischungsversuche in die deut-
schen Angelegenheiten befleißigte, denen Bismarck eisern
widerstanden hatte.
Tatsächlich aber verwies der Film von 1940 schon
auf den noch größeren Führer der Gegenwart voraus und
auf dessen dem Helden der Vergangenheit überlegenen Ge-
nius. Denn Bismarck, so bedeutend seine historische Leis-
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