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Otto von Bismarck – Erblast und Erbe
Eine amerikanische Karikatur
aus dem Jahr 1886 zeigt Bis-
marck als „Friedensengel“ auf
dem Berliner Kongress 1878
(Künstler: Joseph Keppler).
Nachdem er das Reich nach
dem Deutsch-Französischen
Krieg für „saturiert“ erklärt
hatte, nahm der Reichskanz-
ler bei der Beilegung der ers-
ten Balkankrise (1875– 1878)
die Position eines „ehrlichen
Maklers“ ein.
Quelle: ullstein bild/Fotograf:
Granger, NYC
ger, errichteten ihm als martialischem Recken des Reiches
zahllose Denkmäler und benannten Hauptstraßen und pro-
minente Plätze nach ihm.
Je länger, desto mehr entfernte sich die Gestalt Bis-
marcks von der historischen Person, wurden ihr Mythos
und ihr Vermächtnis zum Sinnbild der Einheit und zur In-
karnation der Größe Deutschlands. Das galt schon für das
späte Kaiserreich, wo der Bismarckkult auf das Vakuum ei-
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ner integrationsstiftenden Symbolik traf. Die Bismarckver-
ehrung substituierte dieses Defizit. Sie kompensierte das
Fehlen einer echten Nationalhymne, eines Nationalfeierta-
ges und eigener Reichskleinodien: von Krone, Reichsapfel
und Zepter, die bis 1918 nur in bildlicher Form existierten.
Es war der in den Schulbüchern und alljährlich aufs Neue
in der Öffentlichkeit zelebrierte Heroenkult um die Gestalt
Bismarcks, die dem föderativ zerklüfteten und religiös ge-
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