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3.3.1 Erste Ansätze für eine Mitverantwortung von Schülern

Im Grunde ist die Mitverantwortung der Schüler so alt wie die Schulen selbst. Denn bereits in den

Klosterschulen des Mittelalters erhielten die Schüler neben ihren Lernaufgaben weitere Aufträge, wie

z. B. Lehr- und Lernmittel herbeizuschaffen und Hilfsdienste in der Verwaltung zu übernehmen. Mit

derlei kleinen Pflichten weckte man in den Schülern Ordnungssinn, Gewissenhaftigkeit und Hilfsbereit-

schaft. Mit der Vergabe von Ämtern an Schüler gaben die Lehrer ihren Klassen und Schulen eine innere

Gliederung. In einem Internat in Goldberg (Schlesien) gab es sogar einen Schülergerichtshof und ein

Helfersystem mit Schülerkonsuln und Schülersenatoren wie zu Zeiten der Römischen Republik.

3.3.2 Ausweitung der Schülermitverantwortung in der deutschen Reformpädagogik

Im Gefolge der Aufklärung des 18. Jh. entstanden erstmals Schulen, in denen auch Raum für ein der

Jugend gemäßes, eigenes Leben gewährt werden sollte. In den Internaten des Schweizer Pädagogen

Johann Heinrich Pestalozzi durfte sich lebendiges Schülerleben mit Festen, Feiern und Wanderungen

entfalten.

Für uns in Bayern war insbesondere der Bayerische Regierungs- und Schulrat Heinrich Stephani

bedeutsam. Dieser schlug bereits 1827 Maßnahmen vor, mit denen freiwillige „Mitwirksamkeit“ der

Schüler – so nannte man SMV damals – erlangt werden sollte.

Weiterreichende Bedeutung erlangte der Gedanke der SMV aber erst in der Zeit von der Jahrhun-

dertwende bis zum Ende der Weimarer Republik. Zwei Richtungen der Reformpädagogik waren

hierfür grundlegend: Die erste war die von Georg Kerschensteiner und F. W. Foerster, die SMV als Mittel

zur staatsbürgerlichen Erziehung der jungen Menschen nutzen wollten. Eine etwas andere Auffassung

vertraten die Gründer der ersten Landerziehungsheime.

Der Münchner Stadtschulrat Georg Kerschensteiner (1854–1932) sah es als große Chance für Schüler

an, durch das

„Arbeiten, […] Bewegen, Probieren, […] Erleben“

im

„Medium der Wirklichkeit zu lernen“

1

.

In Anlehnung an das self-government-Prinzip in Englands höheren Schulen forderte er bereits in der

Zeit der Monarchie eine bis dahin unbekannte, selbstständige Verfassung der Schülerschaft im Schul-

leben und sogar eine „Selbstregierung“ der Schüler. Hierzu sollten sich die Schüler in geeigneter Wei-

se organisieren, um dann bestimmte Aufgaben, bspw. die Verwaltung von Unterrichtsmitteln, unter

eigener Führung zu übernehmen. Damit wollte er Selbstständigkeit und Aktivität der Schüler fördern,

in Beziehung zu seinem Mitschüler wie auch zum Ganzen, also der Schulgemeinschaft. Dieses soziale

Lernen zum Erwerb von Tugenden nannte Kerschensteiner „staatsbürgerliche Erziehung“.

„Der moderne Staat erreicht sein Ziel am ehesten dadurch, dass er dem Einzelnen eine Erziehung

angedeihen lässt, kraft der er im Stande ist, die Staatsaufgabe im Großen und Ganzen wenigstens

zu verstehen und gemäß welcher er den ihm nach seiner Leistungsfähigkeit zukommenden Platz im

Staatsorganismus ausfüllen kann und will.“

2

Den Pädagogen und Philosophen Friedrich Wilhelm Foerster (1869–1966) erregte die Disziplinlosig-

keit in den Schulen ebenso, wie ihn die nicht selten große Schulangst beschäftigte. Mit einer „Schü-

lerselbstregierung“, auch „Schülerselbstverwaltung“ genannt, wollte Foerster eine Verbesserung der

Schuldisziplin erreichen und zu mehr charakterlicher Erziehung hinführen. Diese Selbstregierung sollte

das Ausüben von kleinen Ämtern (z. B. Fenster öffnen, Betreuen von Sammlungen, Sorge für Sauber-

keit) bis zur Tätigkeit umfassender Schülerausschüsse (z. B. bei der Beurteilung von Straffällen) bein-

halten und schließlich zu mehr Verantwortungsgefühl für die Schulgemeinschaft führen.

1 Kerschensteiner: Grundfragen der Schulorganisation. Eine Sammlung von Reden, Aufsätzen und Organisationsbeispielen. Oldenbourg.

München. 1954

2 Kerschensteiner: Staatsbürgerliche Erziehung der deutschen Jugend. Villaret. Erfurt. 1901