Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 60

Neue Formen der Bürgerbeteiligung
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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34 Vgl. Jesper Strömbäck: Four Phases of Mediatization: “An Analysis of the Mediatization of Politics
, in: The International Journal of
Press/Politics, Vol. 13, No. 3 (2008), S. 228-246, hier S. 243.
Neben der Schlichtung wurde mit dem Filderdia-
log ein – ohne Zweifel – neues Bürgerbeteiligungsverfahren
durchgeführt, welches eine Mischung aus Bürgergutachten
bzw. Planungszelle und Bürgerkonferenz (Konsenskonfe-
renz) darstellte (vgl. Tab. 3). Mit verschiedenen Verbesse-
rungen für das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ (z. B. in Bezug
auf die Streckenführung) kann dieses Verfahren trotz eini-
ger Startschwierigkeiten als Erfolg betrachtet werden.
Neben den dialogorientierten Beteiligungsverfah-
ren, bei denen eine physische Präsenz notwendig ist, gibt es
darüber hinaus noch internetbasierte Beteiligungskonzepte.
Die „LiquidDemocracy“ (bzw. das „Liquid Feedback“) der
Piratenpartei wird beispielsweise als eine solche „Wunder-
waffe“ gegen Politikverdrossenheit gesehen. Eine formali-
sierte Beteiligung ist dabei schwerer herzustellen. Soziale
Netzwerke, Online-Tools und andere Kommunikations-
möglichkeiten des Internets bieten ein weites Spektrum.
Von den Befürwortern dieser Möglichkeiten wird aber gern
verschwiegen, dass diese Verfahren aber auch die Exklusion
älterer Menschen bzw. von Bürgern ohne diese Fähigkeiten
bedeuten. Soziale Ungleichheiten, die schon vorher für Dif-
ferenzen beim Partizipationsverhalten sorgen, werden re-
produziert, wenn nicht gar verstärkt. Hinzu kommt – zu-
nächst in weniger industrialisierten Teilen der Welt – der
„digital divide“
zwischen denjenigen mit und denjenigen
ohne Internetanschluss. Die „E-Democracy“ erhöht zwar
die Transparenz der Politik und reduziert Informationsko-
sten für die Bürger, behält aber in starkemMaße einen Top-
down-Charakter.
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Eine Innovation, bei der Gesetzesberatungen im
parlamentarisch-repräsentativen System ergänzt werden, ist
das Online-Beteiligungsportal des Landes Baden-Würt-
temberg. Hier können die Gesetzesvorschläge der Landes-
regierung ausführlich kommentiert werden.
Bürgerhaushalte
Das wohl am weitesten verbreitete Verfahren der „neuen
Bürgerbeteiligungsformen“ ist der Bürgerhaushalt, der
durchaus auch handfeste Konsequenzen haben kann, wenn
der lokale Gemeindehaushalt dadurch verändert wird. Ein
Der Filderdialog
Der Filderdialog (Juni bis Juli 2012) war ein aus dem
Schlichtungsverfahren zu „Stuttgart 21“ resultierendes
Bürgerbeteiligungsverfahren. Innerhalb dieses Dialogver-
fahrens sollten die Betroffenen und die Bürgerschaft vor
Ort mit den Projektpartnern in einen informellen Dialog tre-
ten. Ziel war es, dass dieTeilnehmenden zu den sechsTeil-
abschnitten des Verkehrsprojektes Empfehlungen zur Pro-
jektplanung abgeben. DasVerfahren wurde dabei in vier je-
weils eintägige Dialogrunden aufgeteilt: (1) Einführung,
(2) Vertiefung, (3) Beschlussempfehlung der Teilnehmen-
den und (4) Antwort der Projektpartner.
Die Dialogrunde bestand aus 180 Personen. Unter Beach-
tung der demografischen Gegebenheiten vor Ort wurden
80 Bürger zufällig ausgewählt. Die restlichen Beteiligten
setzten sich aus den Projektpartnern, den kommunalen Re-
präsentanten und Fachleuten zusammen. Die Beschluss-
empfehlung der Dialogrunde hatte keine bindende Wir-
kung für die Projektpartner. In die Kritik kam der Filderdia-
log, weil für die erste Runde lediglich fünf Teilnehmer
zusagten und diese zunächst abgesagt werden musste. Die
Deutsche Bahn hat nach Abschluss des Verfahrens erklärt,
sich an die im Filderdialog erzielten Ergebnisse zu halten.
Wartende vor der Eintragungsstelle zumVolksbegehren gegen
Studiengebühren in München am 30. Januar 2013
Foto: SZ-Photo – Stephan Rumpf
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