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Einsichten und Perspektiven 1 | 18

Dritter Allrussischer Rätekongress, 1918

Foto: sz-Photo

um sich neue Möglichkeiten für seine Interventions-

und Umgestaltungspolitik zu schaffen und die lang

erhoffte Revolutionierung aller gesellschaftlichen Ver-

hältnisse endlich angehen zu können. Es waren dann

die sich zuspitzenden Krisenerscheinungen der NEP,

die den Boden dafür bereiteten, dass der neue Parteichef

Stalin das von Lenin begonnene Revolutionswerk mit

aller Macht und Gewalt fortsetzte, um im Sturmlauf den

Anschluss an die Entwicklung der Industriemoderne zu

erzwingen.

56

Krise und Ende der „Neuen Ökonomischen Politik“

1927/28

Während sich die Parteieliten als selbsternannte „Bau-

meister einer neuen Welt” für einen „roten Fordismus“

begeisterten, mussten die Arbeiter erfahren, dass mit der

Einführung moderner Industrieanlagen die Herrschaft aus-

ländischer Ingenieure und Manager in die Fabriken zurück-

56 Zum Aufstieg Stalins und zu seinem Sieg im Machtkampf gegen Trotzkij

vgl. Hildermeier (wie Anm. 18), S. 168-193; S. 109-130; Kotkin (wie Anm.

47), S. 422-660; Chlewnjuk (wie Anm. 6), S. 116-157.

kehrte. Darüber hinaus kam es zur Schließung unrentabler

Betriebe und zu zahlreichen Entlassungen. Angesichts die-

ser frappierenden Ähnlichkeiten mit der miserablen Lage

der Arbeiter in kapitalistischen Ländern gewann die Ver-

ballhornung des Kürzels NEP als „Neue Expropriation des

Proletariats“ zunehmend an Popularität.

57

Auch das volkswirtschaftliche Strukturdefizit der

„Neuen Ökonomischen Politik“ trat seit 1927 immer

offensichtlicher zutage. Der Marktmechanismus funktio-

nierte kaum mehr, weil die Bauern für ihr Getreide wegen

der staatlicherseits niedrig gehaltenen Aufkaufpreise viel

zu wenig Geld erhielten. Industriell gefertigte Konsumwa-

ren waren dahingegen sehr knapp und deutlich überteu-

ert. Die Machthaber versäumten es, diese offensichtlichen

Disparitäten zu bereinigen, um die Wachstumsdynamik

des marktwirtschaftlichen Wechselspiels von Angebot und

Nachfrage wirklich zur Entfaltung zu bringen. Der Kreml

hatte seine Agrarpolitik nach 1921 zwar unter dem Slo-

57 Priestland (wie Anm. 33), S. 139; Baberowski (wie Anm. 25), S. 99-104;

Hildermeier (wie Anm. 18), S. 269-282 u. 297-301; Werth (wie Anm. 21),

S. 150-158.

Der Russische Revolutionszyklus, 1905-1932, Teil 4: Geschehnisse 1918-1932