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Katar: Im Anfang war das Öl

Einsichten und Perspektiven 3 | 15

Ladyboy Zoe arbeitet in einem Dohaer Friseursalon – und als Prostituierte.

„Ich liebe Katar“, sagt Zoe, die eigentlich anders heißt. 

1

In

einem kleinen Café in Doha, der Hauptstadt des Golfemi-

rats Katar, verbringt sie an einem warmen Tag im Winter

ihre Mittagspause. Ihr Haar ist kurz, sie trägt eine Stoff-

hose und ein Hemd mit Karomuster. Auf den ersten Blick

unterscheidet sie nichts von den asiatischen Fahrern oder

Kellnern um sie herum: Von den männlichen Arbeitsmig-

ranten in Katar, die das Glück haben, nicht auf den Bau-

stellen schuften zu müssen. Verräterisch spannt nur das

Hemd über Zoes Brust. Die 27-jährige Frau lebt im Kör-

per eines Mannes, sie ist ein sogenannter „Ladyboy“. Ihre

Brüste verdankt sie einer Hormontherapie, darüber hin-

aus spart sie auf ihre Geschlechtsangleichung. Zoe stammt

von den Philippinen; im Emirat arbeitet sie als Friseurin.

Außerdem hat sie einen gut bezahlten Nebenjob: Zoe ver-

kauft ihren Körper.

ImFriseursalon umfassenZoes schmale Finger die Schere,

routiniert schneidet sie Spitzen und Stufen, zupft Brauen.

Dabei schwärmt sie von dem vielen Geld, das monatlich

über ihr katarisches Konto auf eine der 7.107 philippini-

schen Inseln fließt. Dank ihrer Arbeit im reichsten Land

der Welt lässt sie nicht nur ihr eigenes Haus bauen, sondern

unterstützt auch Familie und Freunde auf den Philippinen.

40 Prozent ihrer Einnahmen im Salon darf Zoe behalten,

der Rest geht an den Arbeitgeber. 10.000 Rial verdient sie

so monatlich, das sind etwa 2.000 Euro. 

2

Das reicht auf den

Philippinen, um alles Mögliche zu bezahlen: Der Inselstaat

verzeichnet ein durchschnittliches (nominales) Pro-Kopf-

Einkommen von 2.500 Euro – pro Jahr.

Hinzu kommen noch Zoes Einnahmen aus der Prostitu-

tion.

Ladyboy

s sind gefragt in der Homosexuellenszene

des Emirats, die in Zahlen nicht zu fassen ist. Reiche

Katarer lassen viel Geld bei der jungen Frau, die für

sie doch ein Mann ist. Wenn die Geschäfte weiter so

gut laufen, kann Zoe bald ihren männlichen Körper

zu dem einer Frau operieren lassen. Und auch sie hat

ihren Spaß an der Sache, sagt sie. Zoe liebt Männer. Und

sie ist wählerisch, was ihre Freier betrifft. Das kann sie

sich wegen der ständigen Angebote auch leisten: „Auf

den Philippinen musste ich für jeden One-Night-Stand

bezahlen. In Katar werde ich von den Männern bezahlt.“

Die Doppelmoral einer homophoben Gesellschaft ist ihr

Geschäftsmodell.

Eine Minderheit im eigenen Land

Zoe scheint das zu schaffen, was hunderttausende Asia-

ten sich vom kleinen Golfstaat Katar erhoffen: das Kapital

zu verdienen, das die eigene Zukunft und die der Familie

für immer verändern wird. Die Katarer sind längst eine

Minderheit im eigenen Land: Von den mehr als zwei

Millionen Menschen, die in Katar leben, besitzen heute

gerade einmal 350.000 einen einheimischen Pass, so viele

Menschen, wie in Wuppertal leben. Es gibt in Katar eine

kleine Schicht an Fachpersonal aus Europa und Übersee;

der Rest besteht vor allem aus südostasiatischen Arbeits-

migranten wie Zoe. 

3

Es klingt paradox, doch: Wer heute

Katar porträtieren möchte, kommt an den Nicht-Katarern

nicht vorbei.

Eigentlich zeigt sich die Freiheit einer Gesellschaft am

Umgang mit ihrenMinderheiten – Katar dagegen muss sich

am Umgang mit der Mehrheit beweisen. Nach Meinung

von Menschenrechtsorganisationen scheitert das Land an

dieser Herausforderung. Der WM-Zuschlag durch die

FIFA

bringt den Katarern eine Aufmerksamkeit, auf die sie

wohl gerne verzichtet hätten: Seit etwa drei Jahren schlagen

die Berichte über die Lebensbedingungen der Gastarbeiter

hohe Wellen, auch wenn es den asiatischen Gastarbeitern in

Ländern wie Saudi-Arabien oder Bahrain nicht unbedingt

besser ergeht. Zunächst erschien im Juni 2012 ein aus-

1 Hier und im Folgenden: Kristina Milz: Zoes Geschäftsmodell, in: taz vom

30.07.2014, S. 5.

2 Umrechnung bezogen auf den Jahresbeginn 2014, aus dem die Information

stammt. Der Rial hat seither gegenüber dem Euro deutlich aufgewertet.

3 Die Zahl der Gastarbeiter in den Golfstaaten stieg nach der Ölkrise im

Jahr 1973 massiv an; die Öleinnahmen hatten sich dort in fünf Jahren

verdreifacht. Seither sind die Gastarbeiter die primäre Arbeitskraft der

Wirtschaft: In Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar

stellen Gastarbeiter heute 85 bis 95 Prozent aller Arbeitskräfte. Einheimi-

sche arbeiten nur in Ausnahmefällen in der Privatwirtschaft, die meisten

sind mit Posten in Behörden und Verwaltung versorgt. Vgl. Kristin Surak:

Die Gastarbeiter, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Den-

ken, Heft 773/774, Oktober 2013, 67. Jg., S. 1024-1035, hier S. 1030.