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aviso 3 | 2016

ANTHROPOZÄN - DAS ZEITALTER DER MENSCHEN

COLLOQUIUM

wicklungen eine neue Richtung und einen ethisch-

politischen Rahmen geben. Dies ist die Grundidee

verantwortlicher Haushalterschaft.

Resilienz angesichts der »Trümmer

der Moderne«

Der Diagnose des Anthropozäns liegt eine besorg-

niserregende Analyse der Übernutzung des globalen

Erdsystems zugrunde. Wir stehen – so der französi-

sche Soziologe Bruno Latour – vor den »Trümmern

der Moderne«. Latour geht in seinem umfangrei-

chen Werk »Existenzweisen. Eine Anthropologie

der Moderne« (2014) davon aus, dass die ökologi-

sche Bedrohung bereits so weit fortgeschritten sei,

dass es nicht mehr darum gehen könne, die Kata-

strophe abzuwenden, sondern darum, im radikalen

Wandel ein neues Zivilisationsmodell zu entwickeln.

Dabei wird schnell deutlich, dass die Vorstellung

einer kollektiven planetarischen Zukunftsverant-

wortung der Menschheit imAnthropozän in einen

»vertikalen Imperativ« (Sloterdijk) mündet, der ein

radikales Hinausgehen über die üblichen Denkwei-

sen in Politik und Wirtschaft fordert.

EINKONZEPT, DAS in dieser Situation die Sack-

gassen eines apokalyptischen Angstdiskurses ver-

meidet, ist »Resilienz«. Ethisch gesprochen geht es

dabei nicht primär ummoralische Begründungen

für die Aktivierung der sozialen, materiellen, geis-

tig-kulturellen und institutionellen Ressourcen, die

uns befähigen, den radikalenWandel zu gestalten.

Resilienz meint Robustheit im Wandel und hat

zwei unabhängige Entstehungskontexte: einer-

seits die Psychologie, die fragt, warumMenschen

so unterschiedlich mit Krisen umgehen können

und welche Eigenschaften signifikant dafür sind,

dass Menschen oder Gruppen Krisen bewältigen

oder sogar an ihnen wachsen können. Die zweite

Wurzel ist die Ökosystemforschung und lässt

sich als Überwindung oder Differenzierung von

Gleichgewichtsmodellen beschreiben. »Robustheit

im Wandel« schließt in beiden Fällen auch eine

Änderung des Systems selbst ein.

UM EINEN HINREICHEND stabilen »Stoff-

wechsel« der Gesellschaft zu erreichen, bedarf es

einer neuen Kultur der Verantwortung, in deren

Mittelpunkt eine Transformation des Naturver-

hältnisses steht. Da es keine prästabilisierte Har-

monie zwischen den Bedürfnissen der scheinbar

unaufhaltsam an Zahl und Ansprüchen wachsen-

den Menschheit und der Tragekapazität der öko-

logischen Systeme gibt, ist es eine ethische und

kulturelle Aufgabe, die Grenzen der Naturbelas-

tung zu definieren und ihre Einhaltung zu orga-

nisieren. Die Herausforderung aus Sicht ökologi-

oben

Luftbilder von menschengeformter anthropozäner Natur fordern uns auf,

die Erde mit neuen Augen zu sehen.