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aviso 3 | 2016

ANTHROPOZÄN - DAS ZEITALTER DER MENSCHEN

COLLOQUIUM

DAS KONZEPT DES Anthropozän ist keineswegs neu. Es

gab schon im 19. Jahrhundert prägnante Vorläufertheorien

in theologisch-anthropologischen und evolutionsbiologischen

Kontexten (insbesondere von Antonio Stoppani sowie von

Ernst Haeckel). Neu ist jedoch die Eindringlichkeit der ge-

genwärtigen Erkenntnis, dass die Destabilisierung der öko-

logischen Nische des Holozän, in der sich der Homo sapiens

in den letzten 11000 Jahren entwickelt hat, mit einer neuen

Qualität von Verantwortung verbunden ist. Der Preis der

neuenMacht des Menschen imAnthropozän ist die Last und

die Lust einer systemischen Verantwortung für die Wechsel-

wirkung zwischen Technik, Kultur und Natur. Hierzu sol-

len im Folgenden einige ausgewählte ethische Leitkonzepte

vorgestellt werden, welche die »soziale Grammatik« dieser

Verantwortung auf unterschiedliche Weise analysieren und

in politikfähige Handlungskonzepte zu übersetzen suchen.

»Verantwortliche Haushalterschaft«

Die fundamentale Verunsicherung des Projekts der Moderne

durch die Diagnose des Anthropozäns kann nicht hinrei-

chend mit soziotechnischen Managementprogrammen

beantwortet werden. Sie erfordert eine kritische Auseinan-

dersetzung mit dem Selbstverständnis des Menschen in der

spätenModerne und den daraus abgeleiteten sinnstiftenden

Leitwerten gesellschaftlicher Entwicklung. Nur auf dieser

Basis ist es überhaupt möglich, die kulturellen Wurzeln des

Menschenzeitalters zu verstehen und den damit verbunde-

nen Anspruch von Verantwortung gesellschaftstheoretisch

und ethisch einzuordnen.

EINES DER ÄLTESTENKonzepte für einen solchen umfas-

senden, vertikalen Imperativ, das seit den 1970er Jahren im

Weltrat der Kirchen als Konkretion des Postulates zeitgemä-

ßer Schöpfungsverantwortung diskutiert wird, ist planetary

stewardship, imDeutschen auch als »verantwortete Haushal-

Text:

Markus Vogt

terschaft« umschrieben. Dieser ethische Leitbegriff geht von

einemKultur- und Gestaltungsauftrag des Menschen auch für

seine natürlichen Lebensräume aus. Er zielt allerdings nicht

auf ein globales Management der Mensch-Umwelt-Bezie-

hungen, worin nicht wenige Vertreter der Weltreligionen eine

Hybris sehen, sondern setzt eher auf die Tugend des Maßhal-

tens und auf Gesellschaftsmodelle der Genügsamkeit (Suffi-

zienz). In dieser Tradition weist der Diskurs um intergenera-

tionelle Verantwortung und eine ökosozial vernetzte, global

nachhaltige Entwicklung kritisch auf die Grenzen mensch-

licher Verfügungsmacht über die Natur sowie auf die Gefahr,

dass die Herrschaft des Menschen über die Natur in eine

Herrschaft des Menschen über denMenschen umschlägt, hin.

Eine Debatte, an der sich derzeit die Geister im Diskurs um

verantwortliche Haushalterschaft imAnthropozän besonders

scheiden, ist Geoengineering (z. B. CCS – die Abscheidung

und Speicherung von CO2 nach der Verbrennung von Kohle

oder Modelle der Abkühlung der Atmosphäre durch eine

künstlicheWolkenschicht). Ethisch geht es um eine schwierige

Balance: Einerseits sind Hinweise auf die erheblichen Unsi-

cherheiten und die mit Geoengeneeringsplänen verbundene

»Hybris der Moderne« (Latour) berechtigt. Andererseits sollte

man verantwortungsethisch – d. h. von der Folgenbewertung

ausgehend – den Beitrag der wissenschaftlich-technischen

Innovationen für Umweltentlastungen nicht zu gering ein-

schätzen. Ich halte Innovationsfähigkeit für eine der wich-

tigsten »Ressourcen« menschlicher Zukunftsgestaltung. So

wurden beispielsweise die Wälder, als sie im frühen 18. Jahr-

hundert im Zuge des florierenden Bergbaus übernutzt wur-

den, wohl nicht primär durchmoralische Imperative gerettet,

sondern durch die Erfindung von Nutzungsmöglichkeiten der

Kohle. Die Kraft technischer Innovationen, die auch heute

keineswegs ausgeschöpft ist, kann nicht durch Imperative des

Verzichts ersetzt werden. Unverzichtbar ist jedoch, dass mora-

lische Werte und Grenzbestimmungen den technischen Ent-

links

Ob Rembrandts pastorale Weiten, die nebligen Meere Turners oder die

romantische Natur Friedrichs, Landschaftsbilder haben schon immer unsere

Wahrnehmung von der Natur geprägt. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus als

auf diesen Gemälden: Durch Landwirtschaft, Fischerei, Industrie, Bergbau und

Städtebau haben wir erdweit »Kulturlandschaften« erschaffen.