aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 16-17

aviso 2 | 2014
Quintensprünge
Colloquium
© Christian Kaufmann
|16|
Was kein Publikum findet, verdient kein Geld
Text:
Georg Ringsgwandl
Natürlich wäre es
schön, wenn man durch
Aufwenden einer gewissen Summe von Steuergeld,
Gründung einer Popakademie, Einsetzen von diver­
sen amtlich bestallten Rock- und Popbeauftragten
eine musikalische Vegetation schaffen könnte, die
Pflanzen hervorbringt wie Scott Joplin, Marlene
Dietrich, Friedrich Holländer, HankWilliams, Edith
Piaf, Chuck Berry, Pink Floyd, Otis Redding, Dolly
Parton, Joni Mitchell, Bob Marley, Neil Young,
Queen, Steve Winwood, J.J. Cale usw., aber es ist
nicht vorstellbar, dass jemand wie Jimi Hendrix
Antragsformulare zur Erlangung einer staatlichen
Unterstützung für die Produktion seines nächsten
Albums ausfüllt. Die steuerfinanzierte Päppelung
der Popmusik müsste in einem wohl ausgepols-
terten Staat wie der BRD nach EU-zertifizierten
Standards geschehen, und ganz sicher dürfte der
Antragsteller keine Drogen konsumieren, das wäre
ja kreatives Doping, kurz: Die staatliche Finanzie-
rung würde der Musikszene eine Trägheit verleihen,
die jedes aufkeimende Pflänzchen von Kreativität
umgehend zerdrückt.
Auf dem steinigenWeg vomGitarre schrammelnden
Jugendlichen zumRockstar gibt es keinen Punkt, an
dem öffentliches Geld helfen könnte. Was braucht
es, um Dylan-, Who-, oder Carol King-Musik zu
schreiben? Einen originellen Kopf, Mut, Unver-
drossenheit, Begabung und Leidensfähigkeit. Keine
dieser Zutaten ist durch Staatskohle zu beschaffen.
ImGegenteil, es ist schon schlimm genug, was das
Geld begüterter Eltern beim popmusikalischen
Nachwuchs anrichtet.
Wem die Besessenheit
, die Sucht, der Wahn
fehlt, an seiner Musik so lange zu arbeiten, bis sie
ein gewisses Publikum findet, der wird auch nicht
die Zähigkeit aufbringen, die nötig ist, um im Show-
geschäft zu überleben. Auch wenn wir es nicht gerne
hören: Musik, die kein Publikum findet, hat der
Menschheit offenbar nicht genug zu sagen, oder,
modisch ausgedrückt: kommuniziert nicht mit ihr.
Was kein Publikumfindet, verdient kein Geld, und
ohne Geld gibt es auf Dauer keine professionelle Band. Dagegen wird
gern eingewendet, es gäbe hervorragende Musiker, die nur keine Plat-
tenfirma finden. Mit diesem Schmäh mag man Mutter oder Freundin
einwickeln. Der Mythos von den guten Bands, die keine Chance kriegen,
weil die Szene zu geldgierig und beschränkt ist, stammt aber aus der
Abteilung für realitätsfremden Kitsch. InWirklichkeit ist der Nachwuchs
an ernstzunehmenden MusikerInnen im deutschsprachigen Raum so
spärlich, dass die Plattenlabels in ihrer Verzweiflung alles unter Vertrag
nehmen, was auch nur ein paar halbwegs erträgliche Songs zustande
bringt. Mit anderen Worten: Der Markt produziert ohnehin schon zu
viele Acts, die nicht lebensfähig sind. Was passiert dann erst, wenn
öffentliche Gelder dazukommen?
Man kann über die vergangene DDR viel Schlechtes sagen, aber eines
muss man ihr lassen: Sie hat gezeigt, was für trostloses Zeug entsteht,
wenn der Staat sich in die Popmusik einmischt. Diesen Fehler sollte
man nicht wiederholen, trotz einer Ausnahme wie ... den Farbfilm ver-
gessen... von Nina Hagen.
Alles, was uns
an Rockmusik wichtig ist, entstand unter heiklen
Bedingungen. »Crossroads« zumBeispiel wurde 1936 von Robert John-
son geschrieben. Ein schwarzer Blues-Sänger, der sein Leben in bitterer
Armut verbrachte undmit 27 starb. Seither wurde der Song von zig Künst-
lern interpretiert, unter anderem von Cream (1968) und der JohnMayer
Band (2009). Achtzig Jahre nach seiner Entstehung fasziniert der Song
Menschen, die Generationen später in einer völlig anderen Welt leben.
Offenbar ist es hier jemandem gelungen, eine tiefe Verzweiflung, die wir
alle kennen oder fürchten, auf universelle Weise auszudrücken. Kunst-
werke dieses Kalibers wachsen nicht imTreibhaus staatlicher Förderung.
Natürlich gibt es hinter den paar erfolgreichen Musikern im Vorder-
grund des Showgeschäfts Tausende, die sich abstrampeln, ohne je
davon leben zu können. Und natürlichmöchte jeder anständige Mensch
diesen hart kämpfenden Künstlern helfen. Aber genauso wenig wie
die reichlich fließenden Stipendien für Schriftsteller zu lesenswerten
Büchern führen, bringen staatliche Förderprogramme ein hörenswer-
tes Rockalbum hervor.
Nicht, dass der
Markt zu bejubeln wäre. Die Musikindustrie ver­
öffentlicht die abscheulichsten Grausamkeiten an kommerziellem Schrott.
Trotzdem: Neben vielen ärgerlichen Gewächsen gedeihen in diesem
Dschungel immer wieder Blüten von bemerkenswerter Meisterschaft.
Nicht nur Verkaufserfolge wie Beatles, Paul Simon, Talking Heads oder
Prince, bei denen künstlerische Klasse und mas-
senhafte Akzeptanz zusammen kommen. Auch
kratzige Stimmen wie die von Tom Waits finden
ein Publikum, das groß genug ist, um eine Platten-
firma bei der Stange zu halten. Auch im deutsch-
sprachigen Raum. Wenn sich so unterschiedliche
Acts wie Einstürzende Neubauten und Helene
Fischer durchsetzen, bedeutet das, es gibt Platz für
alle möglichen Arten von Musik.
Was Europa auszeichnet, ist die klassische Musik.
Man kann diskutieren, wie viele Opernhäuser und
Orchester eine Stadt braucht, aber grundsätzlich
sollte niemand, der nicht ein barbarischer Prolet
geschimpft werden will, bezweifeln, dass es gut
ist, die Musik von Monteverdi bis Strawinsky mit
Steuergeld zu pflegen. Rockmusik dage-
gen ist mit weniger zufrieden. Sie
freut sich über den Mehrwert-
steuersatz von sieben Pro-
zent, wäre froh über eine
Quote für deutschsprachige
Musik im öffentlichen Radio, und hätte es leichter,
wennman die Unterschriftensammlungen, die zahl-
lose Livemusikclubs in traditionellen Vergnügungs-
vierteln vernichtet haben, nicht als Bürgerinitiati-
ven wahrnähme, sondern als das erkennen würde,
was sie wirklich sind, nämlich Spießerbegehren.
Ansonsten: Wer die
populäre Musik in all
ihren bizarren, verschrobenen, ärgerlichen und
faszinierenden Spielarten schätzt, verschont sie
mit staatlicher Förderung. Man folge lieber diesen
Zeilen von Eric Clapton: Let it grow, let it grow, let
it blossom, let it flow.
Dr. Georg Ringsgwandl
ist Rockmusiker,
Kabarettist und Liedermacher, der 1993 den
Arztberuf aufgab, um ausschließlich
künstlerisch tätig zu sein. Ringsgwandls künstle-
risches Schaffen wurde mehrfach
ausgezeichnet, unter anderem mit dem
Bayerischen Kabarettpreis.
Staatsförderung für Popmusik rockt nicht
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