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E
Dr. Jürgen Oelkers,
Professor für
Allgemeine Päda-
gogik an der Uni-
versität Zürich, ist
unter anderem
Mitglied des Bil-
dungsrates des
Kantons Zürich und
hat selbst 4 Söhne.
arum erschießt ein junger Mann seine Leh-
rer, kaltblütig und im Stile einer Hinrich-
tung?Wenn von einer „Wahnsinnstat“ die
Rede ist, bemüht man sich allzu schnell, diese damit zu
erklären, dass hier eine krankhafte Störung der Psyche
vorliege, die man nicht erklären könne. Damit will
man verhindern, dass solchenTaten auch etwas Allge-
meines anhaftet, das sich auch bei anderenVerbrechen
findet.Aber die „Einzeltäter“ häufen sich, so dass die
Ursachen nicht einfach mit der zufälligen psychischen
Verfassung einer bestimmten Person begründet wer-
den können. Natürlich gleicht keinTäter dem ande-
ren, dieTat selbst aber hat immer erstaunliche Paralle-
len mit anderenTaten.
Seit Anfang der neunziger Jahre haben mehrere
männliche Jugendliche in ihren Schulen Massaker ver-
übt. Sie haben Rache an ihren pädagogischen Institu-
tionen genommen. Betroffen sind zumeist nicht ein-
zelne Lehrkräfte, sondern die öffentliche Einrichtung
selbst, die Schule. DieTäter reagieren anscheinend auf
individuelle Kränkungen, für die eine gesellschaftliche
Institution, z.B. die Schule, verantwortlich gemacht
wird. Es ist kein Zufall, dass derTäter von Erfurt mit
seinemAmoklauf aufhörte, als er mit der Person eines
Lehrers konfrontiert wurde, der ihm auf den Kopf zu
sagte, was er getan hat.
Was an solchen Fällen abzulesen ist, lässt sich nicht
als wachsende Gewalt-, sondern als wachsendeTö-
tungsbereitschaft bezeichnen. Hier liegt auch die Ge-
meinsamkeit mit den Massakern im Parlament des
Schweizer Kantons Zug und in der Gemeindever-
sammlung im französischen
Nanterre.Anbeiden Or-
ten traten erwachsene Männer auf, die gewählteVolks-
vertreter wahllos töten wollten, um eine gesellschaftli-
che Institution zu treffen. In keinem dieser Fälle ging
es um persönliche Bereicherung, vielmehr ging es
darum, durch eineTat äußerst spektakulär die Auf-
merksamkeit auf die eigene Person zu lenken, bei der
der eigeneTod von Anfang an mit einkalkuliert
wurde.
Die Muster dieserTaten entstammen den Medien
und nicht einer „kranken Phantasie“. Der Einwand,
dass bei gleichem Konsum die Auswirkungen ver-
schieden sind und selbst hoher Konsum nicht automa-
tisch dazu führt, dass jemand die Gewalt- undTö-
tungsmuster anwendet, ist inWirklichkeit eine gewisse
Art der Bestätigung. Die Muster sind Bildfolgen, die
gespeichert sind und jederzeit abgerufen werden kön-
nen.Alle Gewaltvideos und Killerspiele haben eine
bestimmteVoraussetzung: Sie stellen das Töten ohne
jede persönliche Beteiligung dar. Die Muster des Tö-
tens, die sich dort finden, sind nicht schrecklich, son-
dern lustvoll, und jeder kann sich in die Rolle des Tä-
ters versetzen, ohne innere Schwellen aufzubauen.
Hinter einem Selbstmord steht eigentlich der Ent-
schluss, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Der
Freitod von Schülerinnen und Schülern ist seit Mitte
des 19. Jahrhunderts immer wieder dokumentiert
Das schleichende
Gift der Bilder
W
Lustvolle Muster
DenAmoklauf von Erfurt nur damit zu erklären, dass der Schüler exzessiv Videos
und Computerspiele konsumierte,wäre wohl zu einfach.Dennoch sollten
Eltern sich mit diesemThema beschäftigen.Denn dass der ständige Konsum von
Gewaltvideos nicht ohneWirkung auf junge Menschen bleibt, legt Dr. Jürgen
Oelkers, Professor für Erziehungswissenschaften in Zürich, sehr nachdrücklich dar.
WachsendeTötungsbereitschaft