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Der „Emigrantenstein“ von 1796: steinernes Zeugnis europäischer Geschichte

Einsichten und Perspektiven 1 | 16

Geprägt von der Aufklärung setzte Hardenberg moderne

staatliche Vorstellungen durch und führte 1796 u.a. das

Preußische Allgemeine Landrecht ein. Die Ära Preußens in

Bayreuth endet 1807. Es musste die Fürstentümer im Frie-

den von Tilsit an Kaiser Napoleon abtreten. Das „französi-

sche Intermezzo“ war nicht von langer Dauer. Camille de

Tournon (1778–1833), von Napoleon zum Gouverneur

der „Provinz Bayreuth“ bestimmt, wurde 1809 von den

in Bayreuth einmarschierenden Österreichern gefangen

genommen. Aufgrund des Pariser Vertrags von 1810 zwi-

schen Napoleon und König Max I. Joseph konnte Bayern

sein Territorium um das Fürstentum Bayreuth erweitern,

hatte jedoch hierfür aufgrund einer Geheimvereinbarung

die enorme Summe von fünfzehn Millionen Franken an

Kaiser Napoleon zu entrichten.

Ernst Moritz Arndt: Auf dem Weg von Bayreuth zum

Schloss Fantaisie am 19. Juni 1798:

„zog ein Stein zur linken Seite des Berges mein Herz an

sich, und meine Thränen aus den Augen. O ! auch ein

Emigré bleibt ein Mensch und menschlich sein gewalti-

ges Schicksal, welches ihm keine Stätte in der bewohn-

ten Welt zu lassen scheint. In diesen vorragenden grauen

Granitblock (!) waren … Worte gehauen, die freylich eher

bemoosen werden, als die denkwürdige Zeit woran sie

erinnern sollen: …“. 

1

Die Markgrafschaft Bayreuth – Ansbach: Ende des

17. Jahrhunderts ein Ort früher „Willkommenskultur“

für Hugenotten

Um die Botschaft des „Emigrantensteins“ und seinen his-

torischen Hintergrund nach über zwei Jahrhunderten zu

verstehen, bietet sich ein Blick in das zweisprachige Stan-

dardwerk „Bayern und Frankreich. Wege und Begegnun-

gen. 1.000 Jahre bayerisch-französischer Beziehungen“ an.

In dem opulent ausgestattetenWerk werden die wechselvol-

len Beziehungen zwischen Bayern und Frankreich anhand

von Urkunden, Akten und Plänen aus den Archiven beider

Länder dokumentiert.

Bereits Ende des 17. Jahrhunderts wurden in den Mark-

grafschaften Ansbach-Bayreuth etwa 4.000 emigrierte

1 Ernst Moritz Arndt: Bruchstücke aus einer Reise von Baireuth bis Wien im

Sommer 1798, Bd. 2: Von Reisen durch einen Theil Deutschlands, Italiens

und Frankreichs in den Jahren 1798–1799, (1. Auflage) Leipzig 1801, S. 1f.

französische Protestanten – genannt Hugenotten – aufge-

nommen. 1685 widerruft der französische König Ludwig

XIV. das Toleranzedikt von Nantes. Als Vorkämpfer des

Katholizismus zwingt er die französischen Protestanten in

den Untergrund, ordnet den Abbruch ihrer Kirchen an

und sanktioniert das Verlassen Frankreichs mit Galeeren-

fron. Trotz des Verbots gelang fast 300.000 Protestanten

die Flucht aus ihrer französischen Heimat. Die überwie-

gend aus Handwerk und geschäftstüchtigem Bürgertum

stammenden Emigranten waren für ihre Aufnahmeländer

eine große Bereicherung. In den fränkischen Markgraf-

schaften wurde den hugenottischen Flüchtlingen großzü-

gig finanzielle Hilfe gewährt. Die bemerkenswerte Aufge-

schlossenheit des Markgrafen zeigte sich durch finanzielle

Hilfe bei der Gründung von Manufakturen sowie zeit-

lich befristeten Steuer- und Abgabebefreiungen. Bereits

wenige Wochen nach der Ankunft der ersten Hugenot-

ten im Jahr 1686 begann die Planung für eine neue Stadt

zur Ansiedlung von Gewerbe und Handel im Bereich des

heutigen Erlangen. 1687 erfolgte die Grundsteinlegung

für die Hugenottenkirche in der Neustadt Erlangens. Die

Integration der Hugenotten in Gesellschaft, Gewerbe und

Handel durch Manufakturen und Handelsunternehmen

führte zu einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung in

Franken, der bis heute andauert.

Die Markgrafschaft Bayreuth – Ansbach als Zielort

französischer Emigranten während der Französischen

Revolution

Ein Jahrhundert später, Ende des 18. Jahrhunderts, kommt

es durch die Französische Revolution ab 1789 zu funda-

mentalen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaft-

lichen Umwälzungen in Frankreich. In der Folge entsteht

eine innereuropäische Wanderungsbewegung, die vielfältige

Spannungen auslöste. Bedingt durch veränderte politische

Verhältnisse, aber auch aus Angst vor Verfolgung und der

damit verbundenen Gefahr für Leib und Leben emigrier-

ten zehntausende Menschen aller Stände aus Frankreich in

benachbarte Staaten. Bemerkenswert ist, dass selbst im Stan-

dardwerk „Bayern und Frankreich. Wege und Begegnungen.

1.000 Jahre bayerisch-französischer Beziehungen“ die Auf-

nahme mehrerer Tausend französischer Revolutions-Emig-

ranten im heutigen Bayern mit keinemWort erwähnt ist. 

2

2 Vgl. Michelle Magdelaine: Le refuge huguenot en Bavière. Die Zufluchts-

stätte der Hugenotten in Bayern in: France-Bayern, Bayern und Frank-

reich. Wege und Begegnungen. 1.000 Jahre bayerische-französische

Beziehungen. France-Bavière allers et retours. 1.000 ans de relations

franco – bavaroises, hg. v. Staatl. Archiven Bayerns, Centre historique des

Archives nationales Paris, Montgelas-Gesellschaft, Paris 2006.