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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 16

Was tun mit

Mein Kampf?

Ein Verkäufer eines Exemplars wurde damit letztlich vom

Vorwurf des Verbreitens von Propagandamitteln verfas-

sungswidriger Organisationen, der in § 86 des Strafgesetz-

buchs (StGB) geregelt ist, freigesprochen. Die Begrün-

dung verwies darauf, dass dieser Paragraf nicht anwendbar

sei, da „es sich […] um eine vorkonstitutionelle Schrift

handelt, aus deren unverändertem Inhalt sich eine Ziel-

richtung gegen die in der Bundesrepublik Deutschland

erst später verwirklichte freiheitliche demokratische Ord-

nung noch nicht ergeben konnte“. Da Hitlers Buch vor

der Gründung der Bundesrepublik verfasst wurde, könne

es sich nicht gegen die freiheitlich-demokratische Grund-

ordnung im Sinne des Grundgesetzes richten.

7

Auf alle Fälle hat die Konferenz der Justizministerinnen

und Justizminister der Länder am 25./26. 6. 2014 einen

Grundsatzbeschluss gefasst: „1. Hitlers ‚Mein Kampf‘ ist ein

furchtbares Beispiel einer menschenverachtenden Schrift.

2. Die Justizministerinnen und Justizminister sind sich

einig, dass eine unkommentierte Verbreitung von Hitlers

‚Mein Kampf‘ auch nach Ablauf der urheberrechtlichen

Schutzfrist zum 31. Dezember 2015 verhindert werden

soll.“ 

8

Angesichts dessen, dass anscheinend weder das Urhe-

berrecht noch der Straftatbestand des Verbreitens von

Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen

(§ 86 StGB)greifen, richtet sich in der aktuellen Diskus-

sion das Augenmerk auf den Tatbestand der Volksverhet-

zung nach §130 des Strafgesetzbuchs (StGB). Dies ist

nach Ansicht von Experten eine gangbare Möglichkeit,

um eine Publikation von Hitlers

Mein Kampf

zu verhin-

dern. Zu beachten ist allerdings, dass im Strafrecht eine

Ausnahme von der in § 130 Abs. 2 StGB normierten

Strafbarkeit der Herstellung und Verbreitung volksver-

hetzender Schriften vorgesehen ist, „[…] wenn das Pro-

pagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen

Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebun-

gen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung

oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge

des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen

Zwecken dient“ (sog. „Sozialadäquanzklausel“ nach § 86

Abs. 3 StGB, die über § 130 Abs. 7 StGB zur Anwen-

dung kommt). Diese Regelung will einen Ausgleich mit

etwaig berührten Grundrechten herbeiführen und Ein-

schränkungen vorbeugen, die zum Schutz des freiheitli-

7 Das Urteil ist greifbar unter:

https://www.jurion.de/Urteile/BGH/1979-07-

25/3-StR-182_79-_S [Stand: 29.11.2016].

8 Siehe

http://www.regierung-mv.de/Landesregierung/jm/justizministerium/

Justizministerkonferenz/Beschl%C3%BCsse-2014/ [Stand: 30.06.2016].

chen demokratischen Rechtsstaats und des öffentlichen

Friedens nicht erforderlich sind. Wie Gerichte im kon-

kreten Fall entscheiden würden, wird sich erst erweisen

müssen.

9

Aktuelle Herausforderungen

Nach dem Abflauen der Diskussion, die sich im Herbst

2015 zunächst auf die Frage der Publikation konzentriert

hatte, ist das Thema nach wie vor aktuell: Zum einen

wurde die Edition des Instituts für Zeitgeschichte, insbe-

sondere die große öffentliche Resonanz daran, erörtert. So

stieß die Edition auf so großes Interesse, dass sie mehrfach

nachgedruckt werden musste und im April 2016 sogar

die Bestsellerlisten in der Kategorie Sachbuch anführte.

10

Zum anderen stellte sich die grundsätzliche Frage nach

einem adäquaten Umgang in der Schule. Allerdings wurde

wiederholt, vor allem von Seiten der Geschichtslehrkräfte,

darauf hingewiesen, dass Hitlers

Mein Kampf

schon jetzt

im Geschichtsunterricht thematisiert werde.

11

Das bayeri-

sche Kultusministerium hat angesichts der aktuellen Dis-

kussion ein „mehrstufiges Verfahren“ vorgestellt, das Fort-

bildungsmaßnahmen und zusätzliches Material umfasst,

um einen angemessenen Umgang mit Hitlers

Mein Kampf

in der Schule zu gewährleisten.

12

Im April und Mai 2016

hat der Bayerische Landtag verschiedene Anträge, die für

eine kritische Auseinandersetzung mit Hitlers Hetzschrift

in der historisch-politischen Bildung plädieren, einstim-

mig beschlossen.

13

9 So die Rechtsexperten Hannes Ludyga in einem Interviewmit der Zeitung Die

Welt

(http://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article148318705/

Waere-ein-Verbot-von-Mein-Kampf-Zensur.html [Stand: 30.06.2016])

bzw. Hannes Bickenbach gegenüber der Bundeszentrale für politische Bil-

dung

(http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/216305/

helfen-gesetze-gegen-mein-kampf [Stand: 30.06.2016]). Erste Ermittlungs-

verfahren laufen bereits, vgl.

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/

adolf-hitlers-mein-kampf-unkommentiert-staatsanwaelte-ermitteln-a-

1094377-druck.html [Stand: 05.08.2016].

10 Vgl. SPIEGEL 18/2016 (30.4.2016),

https://magazin.spiegel.de/SP/2016/18/

144545945/index.html?utm_source=spon&utm_campaign=centerpage

[Stand: 30.06.2016].

11 So der Bundesvorsitzende des Geschichtslehrerverbands, Ulrich Bongert-

mann, vgl.

http://geschichtslehrerverband.de/2015/12/25/texte-aus-

mein-kampf-im-geschichtsunterricht-schon-seit-jahrzehnten/ und der

Vorsitzende des Bayerischen Geschichtslehrerverbands, David Denninger

http://www.sueddeutsche.de/bayern/david-denninger-mein-kampf-steht-

seit-jahrzehnten-im-lehrplan-1.2978289?reduced=true [Stand: 30.06.2016].

12 Pressemitteilung des Bayerischen Kultusministeriums, Nr. 026 v. 05.02.2016:

http://www.km.bayern.de/pressemitteilung/9938/.html

[Stand: 30.06.2016].

13 Vgl.

https://www.bayern.landtag.de/aktuelles/sitzungen/aus-dem-plenum/

umgang-mit-der-kommentierten-fassung-von-mein-kampf-im-schul-

unterricht/ sowie mit Verweis auf die einzelnen Beiträge und Dokumente

https://www1.bayern.landtag.de/lisp/anzeigen#TOP24051

[Stand:30.06.2016].