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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 16

Was tun mit

Mein Kampf?

Was tun mit

Mein Kampf ?

„Geht das gut?“ Dies ist die skeptische Frage des Cartoons

von Greser&Lenz. Das gezeichnete Szenario ist in der Tat

beunruhigend: Die von einem ausgewiesenen Rechtsradi-

kalen kommentierte Propagandaschrift findet nicht nur

Eingang in das reguläre Buchsortiment, sondern stößt

auch auf Resonanz bei den Lesern.

Mit Beginn des Jahres 2016 ist in zweifacher Hinsicht eine

neue Situation entstanden. Zum einen dadurch, dass Hitlers

Text keinen Urheberschutz mehr genießt, und zum anderen

dadurch, dass eine vom Institut für Zeitgeschichte herausge-

gebene wissenschaftliche Edition vorliegt, die zeitweise sogar

die Bestsellerlisten für die Sparte Sachbuch anführte. Dies

ist Anlass, die Rolle, die

Mein Kampf

in der historisch-poli-

tischen Bildung spielt bzw. spielen sollte, neu zu bedenken.

Lange schien alles klar.

1

Nach Kriegsende ging das

Urheberrecht auf den neu gegründeten Freistaat Bayern,

seit 1965 auf das bayerische Finanzministerium über,

2

das

es außerordentlich restriktiv handhabte, um eine Verbrei-

tung der Schrift zu verhindern. Jede Form von Publikation

wurde verweigert und dies auch vor Gericht durchgesetzt.

So konnte, um ein Beispiel aus der jüngeren Vergangen-

heit anzuführen, der britische Verleger Peter McGee zwar

zunächst seinen Plan verwirklichen, Zeitungen aus dem

„Dritten Reich“ im Rahmen der Reihe „Zeitungszeugen“

zu veröffentlichen.

3

Doch er verzichtete auf das Vorhaben,

Passagen aus

Mein Kampf

dieser Publikation beizulegen,

nachdem er im März 2012 vor Gericht eine Niederlage

erlitten hatte.

4

Auch das Editionsprojekt des Instituts für

Zeitgeschichte, das das Buch im Rahmen seiner mehrbän-

digen Reihe „Hitler. Reden, Schriften, Anordnungen“ 

5

1 Vgl. hierzu Marion Neiss: „Mein Kampf“ nach 1945. Verbreitung und Zu-

gänglichkeit, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG) 60 (2012),

S. 907–914.

2 Vgl. Christian Hartmann/Thomas Vordermayer/Othmar Plöckinger/Roman

Töppel (Hg.): Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition, im Auftrag des

Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin, München 2016, 2 Bde., hier

Bd. 1, S. 9, Anm. 9.

3 Grundsätzlich: Christian Kuchler: Die nationalsozialistische Tagespresse,

deren Nachdruck in „Zeitungszeugen“ und der Geschichtsunterricht, in:

Einsichten und Perspektiven, Themenheft 1/2010, München 2010.

4 Sergey Lagodinsky: „Mein Kampf“ vor Gericht. Zur Klage des Freistaats Bayern

gegen eine Sammlung kommentierter Zitate, in: ZfG 60 (2012), S. 928–945.

5 Hitler. Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933, hg.

v. Institut für Zeitgeschichte, 13 Bde., München 1992–2003.

als wissenschaftliche Edition herausgeben wollte, war von

dieser Grundsatzentscheidung betroffen. Schon vor dem

Auslaufen des Urheberschutzes ergab sich mithin die para-

doxe Situation, dass das Buch einerseits nicht – auch nicht

in wissenschaftlich kommentierter Form – publiziert wer-

den konnte, andererseits aber – unkommentiert – prob-

lemlos im Internet zugänglich war.

Die anstehende Änderung der rechtlichen Situation

zum Jahresbeginn 2016 hat die öffentliche Diskussion

befeuert: In Funk und Fernsehen, in Zeitungen und Zeit-

schriften, aber auch in den sozialen Medien des Internets

wurde darüber gestritten, ob

Mein Kampf

überhaupt pub-

liziert werden sollte – und wenn ja, in welcher Form. Wie

sollte mit Hitlers Hetzschrift juristisch, politisch und päd-

agogisch umgegangen werden?

Die Bayerische Staatsregierung hatte zunächst die Edi-

tion des Instituts für Zeitgeschichte – auch finanziell –

unterstützt und eine Handreichung für die Bildungsarbeit

in Aussicht gestellt, war dann nach den Bedenken ver-

schiedener Überlebender des Holocaust von dieser Posi-

tion abgerückt.

6

Hier stehen sich zwei ernst zu nehmende

Positionen gegenüber: Während einerseits auf die freie

Zugänglichkeit von

Mein Kampf

als historische Quelle

hingewiesen wird, ist andererseits die Belastung der Über-

lebenden durch die erneute Verfügbarkeit – und damit

unweigerlich auch Verbreitung – nicht wegzudiskutieren.

Die parlamentarischen Debatten im Bayerischen Landtag

haben inzwischen zu einer relativ einheitlichen Position

aller Parteien geführt:

Mein Kampf

soll einen Platz im

Rahmen der historisch-politischen Bildung haben.

Grenzen des Gesetzes

Juristisch kann gegen eine Publikation mit den Mitteln

des Urheberrechts nicht mehr vorgegangen werden. Schon

vor 2016 war der private Erwerb, Besitz und Verkauf ein-

zelner Exemplare nicht strafbar. In einem Urteil aus dem

Jahr 1979 hatte der Bundesgerichtshof festgestellt: „Das

öffentliche Anbieten einzelner alter Stücke von Hitlers

Mein Kampf

erfüllt nicht den Tatbestand des § 86 StGB.“

6 Vgl. Pressemitteilung des Bayerischen Kultusministeriums Nr. 017 v.

22.01.2014:

http://www.km.bayern.de/pressemitteilung/8751/.html

[Stand:

30.06.2016].