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Władysław Bartoszewski, der Brückenbauer
Einsichten und Perspektiven 1 | 16
Eine Zeitlang wirkte er in der Hauptkommission für die
Untersuchung nationalsozialistischer Verbrechen und als
freier Journalist, hauptsächlich für die oppositionelle Polni-
sche Bauernpartei. Dies und die Zugehörigkeit zur Heimat-
armee waren nicht nach dem Geschmack der neuen kom-
munistischen Machthaber inWarschau. Am 15. November
1946 wurde Bartoszewski verhaftet, angeblich wegen Spio-
nage. Es kam jedoch zu keinem Prozess und am 10. April
1948 wurde er entlassen. Am 14. Dezember 1949 erfolgte
eine erneute Verhaftung. Erst im Mai 1952 kam es
zum
Prozess und der Verurteilung zu acht Jahren Haft wegen
Spionage für eine ungenannte Macht. Am 16. August
1954 wurde er aus gesundheitlichen Gründen entlassen –
nach Stalins Tod waren erste Vorboten eines „Tauwetters“
zu spüren. Im März 1955 wurde er als unschuldig aner-
kannt. Im Herbst 1970 setzten erneut Repressalien ein und
Bartoszewski wurde mit mehrjährigem Publikationsverbot
belegt. Nach Ausrufung des Kriegsrechts am 13. Dezember
1981 wurde er wiederum verhaftet und bis zum 28. April
1982 interniert. Nach der Entlassung aus der Internierung
schrieb er an seinen deutschen Freund Reinhold Leh-
mann: „Selbstverständlich bin ich derselbe, ich habe nichts
unterschrieben und nichts zugesagt. In der weiteren Akti-
vität werde ich mein Leben nur nach meinem Gewissen
und meinem Verstand richten.“
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Dies darf wohl als seine
Lebensmaxime angesehen werden.
Seit 1957 wirkte er als ständiger Mitarbeiter der katho-
lischen Wochenschrift
Tygodnik Powszechny
(Allgemeine
Wochenzeitung), schrieb Bücher, war im polnischen
PEN-Club als langjähriger Generalsekretär und später
auch als Präsident aktiv, hielt als Gastprofessor Vorlesun-
gen an der katholischen Universität Lublin, war Mitglied
der Solidarność und hatte zwischen 1983 und 1990 ver-
schiedene Gastprofessuren an den Universitäten München,
Eichstätt und Augsburg inne, um nur die wichtigstenTätig-
keitsfelder zu nennen.
Ganz neue Möglichkeiten eröffneten sich für Bartoszew-
ski nach demUmbruch des Jahres 1989. ImSeptember 1990
wurde er Botschafter der Republik Polen in Wien und blieb
dies bis März 1995. Von März 1995 bis Dezember 1995
und erneut von Juni 2000 bis Oktober 2001 bekleidete
er das Amt des polnischen Außenministers. Von Novem-
ber 2007 bis zu seinem Tod am 24. April 2015 war er als
Staatssekretär und Bevollmächtigter des Premierministers in
Angelegenheiten des internationalen Dialogs insbesondere
für Kontakte zu Deutschland und Israel zuständig.
20 Nachwort v. Reinhold Lehmann, in: Bartoszewski/Edelman (wie Anm.19), S. 133.
Władysław Bartoszewski mit seiner Frau Zofia bei einem privaten Besuch
des Münchner Tierparks Hellabrunn, August 1984
Foto: Letycja Kozlowski
Bei einem solchen Lebenslauf und solchen Erfahrungen
ist es nicht verwunderlich, dass Menschenwürde, Freiheit
und Frieden einen besonderen Stellenwert einnehmen. Dies
bedeutet jedoch nicht Frieden und Freiheit um jeden Preis.
Wäre Bartoszewski im stalinistischen Gefängnis auf das ihm
nahe gelegte Angebot einer Zusammenarbeit eingegangen,
hätte er sich manche Ungemach erspart und kurzfristige
Vorteile erlangt, aber auf Kosten anderer, die er hätte verra-
ten müssen. Kann es Frieden und Freiheit auf Kosten ande-
rer geben? Wo bliebe dann die Würde des Menschen?
Władysław Bartoszewski begleitet als Außenminister der Republik Polen
Bundeskanzler Helmut Kohl mit Gattin bei einem Besuch der
KZ-Gedenkstätte Auschwitz, 1995.
Foto: ullstein bild/Reuters