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aviso 1 | 2017

NISCHEN IM FOKUS

:

WERKSTATT

Text:

Bernhard Grau

Der Fall Gerlich

Dass bei Personalentscheidungen in der bayeri-

schen Archivverwaltung künftig genauer hinge-

schaut wurde, hatte ohne Zweifel nicht unwesent-

lich mit der Person Fritz Gerlichs zu tun, der im

»Stürmer«-Artikel nicht ganz zufällig persönlich

attackiert worden war. Gerlich hatte in den Jahren

1907 bis 1911 an der bayerischen Archivschule die

Ausbildung für den höheren Archivdienst absol-

viert und im Anschluss am Allgemeinen Reichs-

archiv Anstellung gefunden. Allerdings war er in

der Folgezeit viele Jahre lang vomDienst beurlaubt

gewesen, um seiner eigentlichen Neigung, der jour-

nalistischen Arbeit, nachzugehen. Von 1920 bis

1928 war er sogar als Chefredakteur der renom­

mierten »Münchener Neuesten Nachrichten«

tätig gewesen, die unter ihm einen nationalkon-

servativen Kurs einschlugen. Erst nachdem er dort

entlassen worden war, kehrte er 1929 wieder in

den aktiven Archivdienst zurück. Nebenbei setzte

er seine journalistische Betätigung aber weiter

fort, indem er die Wochenzeitung »Illustrierter

Sonntag« leitete, die 1932 in »Der gerade Weg«

umbenannt wurde. Für die Nationalsozialisten

war Gerlich ein Ärgernis, weil er seit der Nieder-

schlagung des Hitlerputsches als unversöhnlicher

Gegner der NSDAP auftrat und die Partei und

ihre führenden Protagonisten mit allen Mitteln

bloßzustellen suchte. Dies hatte zur Folge, dass

Gerlich zu den ersten Opfern der Machtergreifung

oben

Porträt Dr. Fritz Gerlich.

Die Nationalsozialisten waren sich der Tatsache sehr wohl bewusst,

dass sie für die Errichtung ihres Unrechtsstaates auf eine Staatsver-

waltung angewiesen waren, die in ihrem Sinne funktionierte. Und so

gehörte die Gleichschaltung der staatlichen Instanzen unmittelbar

nach der Machtübernahme zu einem ihrer Kernanliegen. Bausteine

der Gleichschaltung waren die Zentralisierung und Vereinheitlichung

des Verwaltungsapparats und die Ausrichtung der Beamtenschaft auf

die NS-Ideologie. Diesem Ziel dienten einerseits die Verfolgung jüdi-

scher und die Ausschaltung ideologisch verdächtiger Staatsbediens-

teter. Flankierend bemühten sich die neuen Machthaber andererseits

darum, eigene Vertrauensleute in führende Positionen zu befördern.

Die staatlichen Archive waren von diesen organisations- und perso-

nalpolitischen Eingriffen keinesfalls ausgenommen. Sie standen auf

der Prioritätenliste vielleicht nicht an erster Stelle, waren aber wich-

tig genug, um nach der so genannten »Machtergreifung« rasch in den

Blick der NS-Bewegung zu geraten.

Der Frontalangriff des »Stürmer«

Wichtigstes Indiz für das Misstrauen, das die Nationalsozialisten den

staatlichen Archiven in Bayern entgegenbrachten, ist ein anonymer

Artikel, der im August 1933 in dem berüchtigten Hetzblatt »Der Stür-

mer« veröffentlicht wurde. Er trug die Überschrift: »Im bayerischen

Archivwesen gehört ausgemistet«. Der Beitrag begann mit einer hef-

tigen Polemik gegen den Staatsarchivrat I. Klasse Dr. Fritz Gerlich,

dem vorgeworfen wurde, Adolf Hitler und seine Bewegung bis aufs

Messer bekämpft zu haben. Daran anknüpfend kam das Blatt aber

auch auf Gerlichs »Gönner und Helfer« in der bayerischen Archivver-

waltung zu sprechen, die noch immer in ihren Ämtern säßen. Worauf

der Stürmer damit abzielte, verdeutlichte die Unterstellung, dass das

Archivwesen in Bayern seit jeher »als ganz besondere Domäne der

Bayerischen Volkspartei und des Zentrums« gegolten habe: »Es gibt

wohl in Bayern keine Behörde, die so schwarz ist als (sic!) das staatli-

che Archivwesen, das mit seinem ultramontanen Nachwuchs auch die

Stadtarchive ganz Bayerns versorgt hat, im trauten Verein mit dem

Marxismus.« Die Forderung des Stürmer lautete daher: »Man werfe

ein Dutzend der schwarzen Brüder hinaus aus den fetten Pfründen.

Sie haben sich gütlich genug getan!«

Dass es sich bei dem Angriff des »Stürmer« um ein schweres Geschütz

handelte, war den Betroffenen ohne Weiteres klar. Der Generaldirektor

der Staatlichen Archive Bayerns, Otto Riedner, sah sich jedenfalls ver-

anlasst, umgehend eine Erwiderung zu entwerfen, die er am 14. August

an sein Ministerium sandte. Darin widersprach er dem Vorwurf, die

staatlichen Archive seien eine Bastion der Bayerischen Volkspartei

(BVP). Zwar musste er einräumen, dass er selbst dieser Partei ange-

hörte und mit ihm zwei weitere von insgesamt acht Direktoren. Gleich-

zeitig wies er aber darauf hin, dass vier der acht Direktoren Protes-

tanten seien und einer der Katholiken der NS-Bewegung nahestehe.

Von den sonstigen Amtsvorständen hätten bis zur Machtergreifung

zwei der Deutschnationalen Volkspartei angehört. Außerdem nannte

Riedner vier Beamte beimNamen, die der NS-Bewegung nahe ständen.