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wissenschaften: ihre interdisziplinäre Leistungsfähigkeit,

andererseits die für eine erfolgreiche Nachwuchsförderung –

die für die Weiterführung eines Faches unbedingt erfor-

derlich ist – erforderlichen Rahmenbedingungen. Beide

Gesichtspunkte seien amBereich der Altertumswissenschaf-

ten im Folgenden erläutert.

Folgen der Bologna-Reformen

An den deutschen Universitäten ist über Jahrzehnte mit

einem vergleichsweise minimalen personellen Aufwand durch-

aus erfolgreich Lehre und Forschung in den Kleinen Fächern

betrieben worden. Waren doch die althergebrachten

Magister-Studiengänge mit all den Freiheiten ihrer Gestal-

tung durch das Lehrdeputat, das sich aus einer Professur

und gegebenenfalls einer Assistentenstelle ergab, gut stu-

dierbar. Die in der Regel nicht zahlreichen Studierenden

erfuhren in Pro- und Hauptseminaren, die durch Übungen

ergänzt wurden, eine intensive Ausbildung; Vorlesungen zu

wechselnden Themen gaben die erforderlichen Überblicke

über größere Bereiche des jeweiligen Fachs. Zudem bot die

übliche, nicht strikt reglementierte Dauer eines Magister-

studiums die notwendige Zeit gerade für den Erwerb der für

das jeweilige Fach wichtigen Sprachen – der überwiegende

Teil der geisteswissenschaftlichen Kleinen Fächer stellt hier

hohe Anforderungen. So ist in der Altorientalistik Kenntnis

nicht nur von Akkadisch, der Verkehrs-Sprache der Babylo-

nier und Assyrer, sondern auch von Sumerisch, der ältesten

überlieferte Sprache der Menschheit (inMesopotamien vom

3. bis zum frühen 2. Jahrtausend v. Chr. in Gebrauch), von

Hethitisch sowie in bestimmten Bereichen von Ugaritisch,

Phönizisch und Altaramäisch, Hurritisch und Urartäisch,

Elamisch oder Altpersisch erforderlich.

DIE UMSTELLUNG AUF

die konsekutiv strukturierten

Bachelor- und Master-Studiengänge bedeutete gerade für

Kleine Fächer, dass die vorhandene Lehrkapazität vielerorts

nicht mehr für eigenständige Fach-Bachelor und Fach-Mas-

ter ausreichte. Denn nunmehr muss die Lehre ›konsekutiv‹

aufgebaut werden, d. h. ein mehr oder weniger genau fest-

gelegtes Lehrprogramm ist Semester für Semester durch-

zuführen, die Studierenden werden dabei in ›Kohorten‹

(bereits der Begriff führt auf Zahlen, die in den Kleinen

Fächern in der Regel unerreichbar sind), d. h. nach erstem,

zweiten und drittem Studienjahr gesondert, unterrichtet. Ein

Fach benötigt daher genügend Lehrkapazität (= Lehrende),

um das Programm aller drei Jahre (und entsprechend zu-

sätzlich beider Jahre des Masterprogramms) parallel anbie-

ten zu können. In der Altorientalistik hat dies dazu geführt,

dass nur noch an fünf von zwölf Standorten das Gebiet als

Hauptfach in einem entsprechenden Studiengang studiert

werden kann, an den übrigen Standorten in Kombination

mit etwa Ägyptologie, Hebraistik, Vorderasiatischer Archäo-

logie oder anderen altertumswissenschaftlichen Fächern in

Komposit-Studiengängen in BA oder/und MA gelehrt wird.

Zudem ist die Zeit für den Erwerb der Sprachkenntnisse

reglementiert und in der Regel reduziert. Dies heißt, dass es

schwieriger geworden ist, mit dem Fachstudium den wissen-

schaftlichen Nachwuchs auf das Qualifikations-Niveau zu

bringen, auf dem frühere Generationen mit der eigenen wis-

senschaftlichen Arbeit (in der Regel die Promotion) beginnen

konnten.

Interdisziplinarität zuungunsten von disziplinärer

Kompetenz

Dies betrifft natürlich nicht nur die Altorientalistik, sondern

alle Kleinen Fächer, von denen die meisten durch die An-

forderungen der neuen Studiengänge gezwungen sind, ihre

traditionellen Ausbildungsprofile mehr oder minder weit

aufzugeben und ihre Fachausbildung in Lehrverbünde mit

anderen, zumeist auch Kleinen Fächern, zu verlagern. Die

dabei erreichten Abschlüsse und Kompetenzen sind – dies

ist der Gewinn – zwar deutlich interdisziplinärer aufgebaut

als bei den alten Magister-Studiengängen, doch ist die je-

weilige disziplinäre Kompetenz notwendigerweise reduziert.

ZUGLEICH – UND DIES

ist gravierender – bedeutet jeder

Verlust einer Fach-Professur einen Verlust an Zukunftsper-

spektive für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Im Ext-

remfall – der möglicherweise derzeit am Beispiel des Faches

Christlicher Orient (gegenwärtig nur noch an der Univer-

sität Halle-Wittenberg vorhanden) studiert werden kann –

hat ein Fach nur noch zwei Professuren oder sogar nur eine

einzige Professur in Deutschland. Ist diese Professur besetzt,

gibt es u. U. für Jahrzehnte keine Chance für den Fachnach-

wuchs, in Deutschland eine feste Stelle zu erhalten. Dass

sich eine solche Aussicht nicht günstig auf die Rekrutierung

begabter junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-

ler für ein Fach auswirkt, bedarf keiner Erläuterung. Fast

zwangsläufig führt diese Konstellation zu einemGlücksspiel,

wird tatsächlich eine der raren Professuren eines Kleinen

Faches frei: Es ist fast nur glücklicher Zufall, wenn dann

punktgenau eine überzeugende Besetzung möglich ist. Im

häufigeren Fall sind die Bewerberlagen klein und bedür-

fen entsprechender Findigkeit von Seiten der Berufungs-

kommissionen, um ein halbwegs vertretbares Ergebnis zu

erreichen.

Diese Krise, die die neuen Studiengänge für die altertumswis-

senschaftlichen Kleinen Fächer bedeuten, ist auch deswegen

nicht unerheblich, weil die deutschen Universitäten gerade in

diesen Fächern international recht erfolgreich agiert haben

und noch agieren und ihre Absolventen auf dem anglo-ame-

rikanischen Stellenmarkt aufgrund ihrer gediegenen Ausbil-

dung (einschließlich der Sprachkompetenzen) gute Chancen

hatten. Mir liegen hierzu keine aktuellen Untersuchungen vor,

doch scheint es, dass der Anteil etwa deutscher Altphilologen

in Großbritannien höher ist als je zuvor, deutsche Klassische

Archäologen oder Indologen in den USA keine Seltenheit dar-

stellen. Im Umkehrschluss heißt das leider auch, dass deut-

sche Universitäten nicht darauf rechnen dürfen, in diesen

Kleinen Fächern (in den Kleinen Fächern, die ein natürliches

›Stammland‹ aufweisen, das das Fach pflegt – man denke an

aviso 1 | 2017

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