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aviso 1 | 2015

DIGITALE WELTEN

COLLOQUIUM

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passieren! Ihre Gedanken schweifen ab.

Vor ihrem inneren Auge tauchten Bil-

der auf. Sie liegt auf dem Boden, ohne

Tasche und Handy, mit blutender Nase

und schmerzendem Hinterkopf. Man

hat sie niedergeschlagen und ausgeraubt.

Das ist jetzt sechs Monate her, drei Mo-

nate nach ihrem Abitur.

Nicht nur das Erleben von Gewalt, auch

das Betrachten von Gewaltfilmen oder,

schlimmer noch, von Videos, die reale

exzessive Gewalt dokumentieren, kann

bei Kindern, Jugendlichen und emp-

findsamen Erwachsenen zu psychischen

Beschwerden führen. Auch Kinder kön-

nen durch Konsum nicht-altersgerechter

Medien psychische Symptome oder gar

psychische Krankheiten entwickeln. In

Extremfällen können sie durch den Kon-

sum von Gewaltvideos sogar eine Post-

traumatische Belastungsstörung (PTBS)

entwickeln. PTBS-Patienten leiden vor

allem unter Flashbacks, nervöser Unru-

he, Alpträumen und Vermeidungsverhal-

ten. Kinder können ihre Beschwerden

oft nicht artikulieren. Bei ihnen kann

zunächst nur eine Wesensveränderung

auffallen, beispielsweise in Form einer

plötzlich einsetzenden und anhalten-

den Ängstlichkeit und Schreckhaftigkeit.

Nach dem Überfall hat Petra ihr gerade

aufgenommenes Studium abgebrochen

und auch den Job in einer Kneipe an

den Nagel gehängt, da sie zu große Angst

hatte, sich in die Öffentlichkeit zu bege-

ben. Irgendwann hat sich zur Angst auch

noch Scham hinzugesellt – wie sie jetzt

aussieht! Sie hat panische Angst, dass ihr

wieder jemand etwas antun kann. Außer-

dem funktioniert an ihrem Smartphone

draußen das Internet oft nicht richtig. Da

könnte sie etwas Wichtiges verpassen! Sie

hat ja im Internetspiel gerade erst einen

coolen Typen kennengelernt, der sie sehr

attraktiv findet. Und da muss sie jetzt

am Ball bleiben.

Das Internet birgt noch weitere Gefah-

ren für die psychische Gesundheit von

Kindern und Erwachsenen, nämlich

Internetforen, die selbstschädigendes

Verhalten glorifizieren. Dazu zählen

Chatrooms, die Magersucht und Selbst-

mord verherrlichen. Kinder und Jugend-

liche, aber auch Erwachsene mit vermin-

dertem Selbstwertgefühl oder fehlendem

Freundeskreis sind besonders gefährdet,

Opfer derartiger Foren zu werden. Oft

unterschätzt wird das Risiko des Cyber-

stalkings, das gerade in sozialen Foren

eine Rolle spielt. Cyberstalking, auch

Cyberbullying oder Online-Mobbing

genannt, bezeichnet Stalkingtätigkeiten,

die mit Hilfe technischer Kommunika-

tionsmittel durchgeführt werden. Opfer

von Cyberstalking werden beispiels-

weise in der Internet-Öffentlichkeit

bloßgestellt oder anonym bedroht. Der

damit verbundene Stress kann das

Auftreten psychischer Krankheiten, in

schweren Fällen verbunden mit Selbst-

mordabsichten, fördern.

Ein paar Tage später passiert eine Kata-

strophe für Petra – ihr Internetzugang

funktioniert nicht mehr. Weder mit dem

PC noch mit ihrem Smartphone kann

sie online gehen. Nach einer Stunde

bekommt sie Herzrasen – sie muss un-

bedingt ins Forum beziehungsweise in

ihre Mailbox und sie muss außerdem das

Spiel fortsetzen. Sie will beim Internet-

Provider anrufen, doch ihr Handy ist tot!

Kein Empfang! Petra wird sehr unruhig.

Sie rennt zu ihremFestnetz-Telefon. Das

funktioniert zum Glück noch. Der Pro-

vider teilt ihr mit, dass ihr Handy und

ihre Internetverbindung abgeschaltet

worden seien, da sie seit zwei Monaten

mit den Zahlungen in Verzug sei. Petra

legt auf. Ihr wird bewusst, dass ihre klei-

nen Ersparnisse offenbar aufgebraucht

sind. Das ganze Geld, das ihre Oma ihr

zum Abitur geschenkt hat, ist also auch

weg! Von ihren Eltern hat sie nichts zum

Abitur bekommen. Kein Wunder, denn

mit denen hat sie sich ja auch noch nie

gut verstanden. Dass sie jetzt pleite ist,

konnte doch nicht an den paar Paketen

liegen, die sie in Online–Shops bestellt

hatte? Sie hatte in den letzten Monaten

insbesondere Kleidung gekauft. Das

ging sehr schnell, aussuchen und zwei

Klicks, dann war das Paket unterwegs.

Die meisten dieser neuen Kleidungs-

stücke passten oder gefielen ihr jedoch

nicht. Irgendwann hatte sie aufgegeben,

auch nur zu versuchen, zur Post zu gehen,

um die Rücksendungen aufzugeben. Da-

her waren die Rücksendefristen für die

etwa 50 bei ihr herumliegenden Pakete

längst abgelaufen.