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Władysław Bartoszewski, der Brückenbauer
Einsichten und Perspektiven 1 | 16
schen unter den Bedingungen des Völkermords. Es gab
keine Heilmittel oder Ratschläge, keinerlei Sicherheits-
grundsätze außer dem nüchternen Verstand.“
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Die zu bewältigenden Aufgaben waren ungeheuer
groß. Für die Flüchtlinge aus den Ghettos musste eine
sichere Unterkunft gefunden werden, sie mussten mit
Lebensmitteln und eventuell mit Medikamenten versorgt
werden. Außerdem brauchten sie eine neue, „arische“
Identität und entsprechende falsche Papiere. Unter den
Bedingungen von Krieg und Besatzung ein schwieriges
Unterfangen. Dennoch war es ein Versuch – trotz aller
damit verbundener Gefahren – angesichts der unfassbaren
Tragödie der Juden nicht tatenlos zu bleiben. Im Vorwort
zu „Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt“ schreibt
Bartoszewski: „Eine der schlimmsten Gefahren für das
Zusammenleben der Menschen sind die Gleichgültigkeit
und der Opportunismus. Sie sind oft böser als das Böse.
In ihnen liegen die Wurzeln des Bösen. Das gilt sowohl für
den Privatbereich als auch für die Politik. Vielleicht ist viel
mehr politisch im Leben, als wir ahnen. Vielleicht ist die
Gleichgültigkeit der Grund dafür, warum durch zu starke
Anpassungsfähigkeit so viel Leiden in der Welt ist. Auf der
Welt ist der Mensch das Wichtigste. Wir sind erst auf dem
Weg, das zu begreifen.“
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Achtung der Menschenwürde als Grundvoraussetzung
für den Frieden
Nach Meinung von Marek Edelman, einem der führen-
den Köpfe der jüdischen Kampforganisation und einem
der wenigen Überlebenden des Aufstands im Warschauer
Ghetto (19.04.–16.05.1943), haben seine Mitstreiter, die
in diesem ungleichen Kampf ihr Leben ließen, die Men-
schenwürde verteidigt. Die Pflicht derjenigen aber, die
überlebt haben, ist es, das Andenken an jene zu bewahren
und das Wissen über das Geschehene an die folgenden
Generationen weiterzugeben.
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Bartoszewski ist dieser Pflicht mit vollem Einsatz nach-
gegangen, was sich auch später in seinem umfangreichen
17 Der Hilfsrat für Juden „Żegota“ 1942–1945. Auswahl von Dokumenten, hg.
v. Andrzej Krzysztof Kunert, eingeleitet durch ein Interview von Andrzej
Friszke mit Władysław Bartoszewski, Warschau 2002, S. 25; vgl. auch
Władysław Bartoszewski: Uns eint vergossenes Blut. Juden und Polen in
der Zeit der „Endlösung“, Frankfurt/Main 1987.
18 Władysław Bartoszewski: Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt. Die
Erfahrung meines Lebens, hg. v. Reinhold Lehmann, Freiburg im Breisgau/
Basel/Wien 1986, S. 10.
19 Władysław Bartoszewski/Marek Edelman: I była dzielnica źydowska w
Warszawie (Und es gab einen jüdischen Wohnbezirk in Warschau), Wars-
zawa 2010, S. 46 f.
Werk niederschlug. In der Heimatarmee war er neben der
Hilfe für Juden und für polnische Häftlinge im Informati-
onsbüro tätig und sammelte Material über alle Vorkomm-
nisse, schrieb Berichte, die an die polnische Exilregierung
in London gingen und arbeitete mit in der Redaktion des
größten Untergrundblattes der Heimatarmee, des
Biule-
tyn Informacyjny
(Informationsbulletin). Während der 63
Tage des Warschauer Aufstands (01.08.–02.10.1944) war
er im Stadtzentrum in einer Rundfunkstation des Ober-
kommandos der Heimatarmee tätig. Es handelte sich um
einen internen Sender für die Übermittlung von Nachrich-
ten zwischen den einzelnen Stadtteilen. Informiert wurde
über alles, was in der Stadt geschah, in welchen Straßen
z.B. ein Durchkommen möglich war – wichtige Informa-
tionen, um Opfer zu vermeiden. Nach der Niederwerfung
des Aufstands gelang es Bartoszewski durch eine List einer
Verhaftung zu entgehen und er schlug sich nach Krakau
durch, wo er seine Arbeit in der Heimatarmee fortführte.
Nach Warschau kehrte er Mitte Februar 1945 zurück – in
eine völlig zerstörte Stadt. Die Wohnung mitsamt einer
umfangreichen Bibliothek niedergebrannt, die Familie
zerstreut. Er versuchte in der neuen, durch die Beschlüsse
von Jalta festgelegten Wirklichkeit Fuß zu fassen.
Denkmal für die
Armia Krajowa
(Heimatarmee) in Warschau
Foto: ullstein bild – CARO/Andreas Bastian