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Władysław Bartoszewski, der Brückenbauer

Einsichten und Perspektiven 1 | 16

quellen zu schützen hatte der Text die Form einer litera-

rischen Reportage. Am Ende stirbt die Hauptfigur, der

Erzähler. Es handelte sich um die erste Untergrundpub-

likation über das Konzentrationslager Auschwitz. 

9

Damit

begann auch Bartoszewskis Tätigkeit als Chronist, die

er als Verpflichtung gegenüber denjenigen verstand, die

Krieg, Verfolgung und Lagerhaft nicht überlebt hatten.

Porträt aus dem Jahr 1944

Foto: Forum/Süddeutsche Zeitung Photo

Es brauchte seine Zeit, bis sich Bartoszewski nicht nur

gesundheitlich erholte, sondern auch zu sich fand. Hilf-

reich war dabei die Aufnahme eines Polonistikstudiums

im Untergrund im Herbst 1941. Dies war nur konspi-

rativ möglich, denn nach dem Willen der nationalsozia-

listischen Besatzer wurden alle weiterführenden Schulen

und Universitäten geschlossen, weil jungen Polen keine

Bildung zukommen sollte. Deshalb wurde im Unter-

9 Bartoszewski (wie Anm. 3), S. 81 f., 114–164.

grund ein geheimes Unterrichtswesen aufgebaut, an

dem sich viele Lehrer, Dozenten und Professoren betei-

ligten. Bartoszewski drängte es zur aktiven Mitarbeit im

Widerstand. Die Untergrundorganisationen waren sehr

vorsichtig gegenüber entlassenen oder sogar geflüchteten

Häftlingen. Es galt auszuschließen, dass diese unter Beob-

achtung der Gestapo standen oder gar selbst Informanten

waren und somit eine potentielle Gefahr für Mitstreiter

darstellten. Deshalb erfolgte die Aufnahme in eine Wider-

standsgruppe erst nach einer gewissen Karenzzeit, in der

der Anwärter genauestens überprüft wurde. Bartoszewski

wurde im August 1942 in die Heimatarmee 

10

aufgenom-

men. Unter anderem wurde er im Informationsbüro der

Hauptkommandantur der Heimatarmee eingesetzt, wo es

zu seinen Aufgaben gehörte, Material über Terrorakte zu

sammeln und zu analysieren. Dabei ging es

ihm vor allem

darum, die Opfer vor dem Vergessen zu bewahren. 

11

Er

leugnete später nicht, dass das Erlebte in ihm manchmal

eine tiefe Abneigung gegenüber allen Deutschen hervor-

rief. Erst die Begegnung mit der Schriftstellerin Zofia

Kossak und Pater Jan Zieja führten zu einer Überprüfung

dieses Standpunktes. Die Predigttexte des Bischofs von

Münster, Clemens August Graf Galen, die in den polni-

schen Untergrund durchsickerten, machten nachdenk-

lich. In den bereits erwähnten konspirativen Seminaren

und Studentenzirkeln wurde darüber diskutiert, „was

für eine Krankheit der Hass war, mit dem die Menschen

durch den von Hitler begonnenen Krieg infiziert wurden.

Ich wiederhole: Wir glaubten daran, dass die Deutschen

verlieren, und das erfüllte uns mit Befriedigung. Aber

langsam begannen wir zu begreifen, dass damit keine kol-

lektive Abneigung gegenüber einem anderen Volk einher-

gehen darf.“ 

12

Es sind diese Fragen und Gedanken, die

viele Menschen in solchen extremen Lebenssituationen

umgetrieben haben. Adam Kozłowiecki, S.J. erwähnt in

seinen auf Geheiß der Ordensoberen nach dem Krieg ver-

fassten Erinnerungen folgende Szene aus dem Konzentra-

tionslager Dachau: Einer seiner Mithäftlinge fluchte und

schwor blutige Rache. Kozłowiecki versuchte ihn erfolglos

zu besänftigen. Schließlich fragte er: „‚Findest du, dass die

SS-Männer Schweine sind?‘ Wütend antwortete dieser:

‚Natürlich!‘ Darauf ich: ‚Da sind wir uns einig, aber wenn

auch du dasselbe tun wirst, wie sie, dann wirst du auch

10 Die Heimatarmee war die militärisch organisierte, der polnischen Exilre-

gierung in London unterstellte Widerstandsbewegung im besetzten Polen.

11 Bartoszewski (wie Anm. 3), S. 86–89.

12 Ebd., S. 95.