Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 42

„Abstammung stellt einen unauslöschlichen Makel in der
gesellschaftlichen Reputation der Gräfin Bertha Kinsky
dar.“
4
Mit 30 Jahren ist sie noch ledig – und damit für die sie
umgebende Gesellschaft eine „alte Jungfer“.
Nun setzt sich Bertha Kinsky über die Konventio-
nen hinweg, „tut sie Unerhörtes mitten im 19. Jahrhun-
dert“.
5
Sie wird berufstätig und nimmt eine Stelle als Erzie-
herin im Hause des Baron Suttner an. Ihre Aufgabe in der
hochadeligen Familie ist es, die Töchter des Hauses stan-
desgemäß zu erziehen.
6
Bereits nach kurzer Zeit verliebt sie
sich in den Sohn des Hauses – Arthur von Suttner, der deut-
lich jünger ist als sie. Als die Beziehung bekannt wird, er-
hält sie sofort die Kündigung. Eine neue Stelle findet sie in
Paris als Sekretärin des Industriellen Alfred Nobel. Zwar
beendet sie die Arbeit in Paris schon nach wenigen Wochen
wieder, um 1876 im Geheimen Arthur von Suttner zu hei-
raten, aber Nobel bleibt Suttner ein Leben lang verbunden
und wird später zu einem der wichtigsten Sponsoren ihrer
pazifistischen Tätigkeit.
4 Brigitte Hamann: Bertha von Suttner. Ein Leben für den Frieden.
2
München/Zürich 1987, S. 13. Bertha von Suttner: Lebenserinnerungen.
5
Berlin 1976, S. 87 ff.
5 Cathrin Kahlweit: Ein Leben wie eine Operette. Bertha von Suttner: Journalistin, Autorin, Pazifistin, München 2003. Elektronisches Doku-
ment:
/ [Stand: 08. Mai 2005].
6 Hamann (wie Anm. 4), S. 42.
7 Leopold Katscher: Bertha von Suttner, die „Schwärmerin“ für Güte. Mit Porträts, Illustrationen und einer Auswahl von Gedankenperlen.
Dresden 1903, S. 6.
„Die Waffen nieder" – Bertha von Suttners Leben gegen den Krieg
Einsichten und Perspektiven 1 | 14
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Begegnung mit der Friedensidee
Das von den Verwandten geächtete Ehepaar von Suttner
verbringt einige Jahre im Kaukasus bei einer befreundeten
Fürstin, wo Bertha von Suttner mit dem Schreiben beginnt.
Zu dieser Zeit stehen „Romane, Skizzen, ethische Artikel
und schönwissenschaftliche Plaudereien“
7
im Vordergrund
ihres schriftstellerischen Wirkens. Erst später beginnt sie
mit der Veröffentlichung pazifistischer Schriften. Doch
schon in dem utopischen Essay „Das Maschinenzeitalter.
Zukunftsvorlesungen über unsere Zeit“, den sie nach ihrer
Rückkehr nach Österreich 1889 unter dem geschlechtsneu-
tralen Pseudonym „Jemand“ veröffentlicht, kündigt sich
die Politisierung Bertha von Suttners an. Aus der Perspek-
tive einer Zukunft, in der Sexismus und Nationalismus der
Vergangenheit angehören, kritisiert sie die Gesellschaft des
ausgehenden 19. Jahrhunderts. „Das Maschinenzeitalter“
enthält auch ein Kapitel über die internationale Friedensbe-
wegung, von deren Existenz das Ehepaar von Suttner erst-
Aus: Bertha von Suttner: Rüstung und Überrüstung.
Berlin 1909, S. 14–16.
„So lange das gegenseitige Misstrauen besteht,“ heißt es, „muss
doch die Rüstung beibehalten werden.“
Zugegeben: darum wird auch von den Rüstungsfreunden das
Mißtrauen genährt, geschürt, künstlich geschaffen. Den drohen-
den Krieg amHorizonte braucht der Militarismus wie ein Stück-
chen Brot. Er wird nicht nur als drohend, sondern als unver-
meidlich hingestellt. Doch wie? Soeben ist behauptet worden, die
Rüstungen seien eine Garantie gegen den Krieg, und nun den-
noch: „unvermeidlich?“ Je nun, auf einen Widerspruch mehr
oder weniger kommt es doch nicht an. In diesen Dingen ist ja das
Zu-Ende-Denken nicht üblich. Wie der Kirchenfrömmigkeit, ist
auch der Militärfrömmigkeit den herrschenden Dogmen gegen-
über das logische Zerpflücken häretisch. – Welche Anzeichen
werden aber angeführt, um die bösen Absichten des Nachbars zu
beweisen? „Er vermehrt seine Rüstungen. Er konzentriert Grup-
pen an der Grenze, er braut Forts, er legt Minen.“ Ja, das ist al-
lerdings gefährlich. Er tut es zwar angeblich, um sich gegen un-
sere Forts und gegen unsere Minen zu schützen, der Bösewicht,
aber wer wird ihm trauen? Also überbieten wir ihn und bewei-
sen so unsere Friedensliebe. Und jetzt sind wir wieder die Ge-
fährlicheren. Alle die Heere und Flotten haben ja doch nur eines
zu bekämpfen und abzuwehren: nämlich wieder Heere und
Flotten. Gefahren und Schutz sind identisch. Es ist so, als wären
unsere Feuerwehren zugleich Brandstifter, unsre Gendarmen
zugleich Räuber und unsere Ärzte zugleich Giftmischer. Es gibt
ein sehr stolzes, patriotisches Wort, mit welchem ausländische
Vorschläge über Vereinbarung zu Rüstungsverminderungen ab-
gelehnt werden: „Jedes Land weiß selbst ambesten, was es zu sei-
ner Verteidigung braucht, das ist eine eminent innere Angele-
genheit, die ganz selbständig behandelt werden muss, in die man
keine fremde Einmischung dulden kann.“ Das ist einfach falsch!
Es gibt gar keine Angelegenheit, in der man vom Auslande ab-
hängiger wäre als gerade diese. Denn der eine richtet ja seine
Wehrmacht nur nach derjenigen des andern; es kann nirgends ei-
ne Vermehrung der Kontingente, nirgends eine neue Waffe ein-
geführt werden, ohne dass dies – bei dem jetzt waltenden Syste-
me – dieselben Maßregeln bei den anderen zur zwingenden Fol-
ge hätte. In gar nichts anderem ist die gegenseitige Abhängigkeit
– folglich Unselbständigkeit – so groß wie in der Rüstungsfrage,
die ja eine Rivalitätsfrage ist. Allein kann man nicht rivalisieren.
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