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Nach den Abitur­

prüfungen ist vor dem

echten Leben:

Für Gymnasiasten erscheinen Studium

oder Ausbildung oft als die einzigen zwei

Möglichkeiten, sich zukünftig ein stabiles

Leben aufzubauen. Wenn man sich nicht

direkt nach einem Studien- oder Ausbil-

dungsplatz umsieht, wenn die Orientie-

rung eben noch nicht abgeschlossen ist,

wird dies oft mit Enttäuschung wahrge-

nommen. Dahinter verbirgt sich eine

einfache Schlussfolgerung: In einem Sys-

tem, welches in erster Linie darauf aus-

gelegt ist, den Einzelnen sehr schnell

zum Funktionieren zu bringen, ist das

Nichtfunktionieren zur größten Angst

aufgestiegen. Verlustängste vor enden-

den Freundschaften oder wechselnden

Wohnorten treten da in den Schatten

von puren Existenzfragen.

Steckt man in eben jener Situation, kann

ein Denkanstoß des Existenzialisten Jean-

Paul Sartre sehr hilfreich sein. Bei ihm ist

gerade die Angst die Grundbedingung ei-

nes autonomen Lebens. Das Beispiel ei-

nes Wanderers, der auf einem gefährli-

chen Bergpass festsitzt, erhellt diese

Theorie: Die Ungewissheit, wie man den

Pfad weiter beschreiten soll, die Furcht

vor dem Abrutschen, treiben einen in die

Enge. Auch auf den bereits zurückgeleg-

ten Weg hinter sich zu blicken, führt zu

nichts. Sartre fordert, man dürfe sich

nicht den äußeren Einschränkungen un-

terwerfen, allein die individuellen Fähig-

keiten und Möglichkeiten brächten einen

weiter. Es sei essentiell, dass man sich zu-

sätzlich zu den äußeren Zwängen nicht

auch noch selbst einschränkt, indem man

vorgegebene Muster oder Erwartungen

zu erfüllen versucht. Aus den Ungewiss-

heiten und Ängsten, die die eigene Zu-

kunft birgt, führt der Weg, den man selbst

für sich ausmachen kann, nicht der, der

einem als der einzig wahre angepriesen

wird. Schafft man sich seine eigenen An-

forderungen, kann man nicht an fremden

Anforderungen scheitern. Passt man sei-

ne Lebensplanung an die eigene Persön-

lichkeit an, muss man nicht versuchen,

sich krampfhaft an den Status quo zu

klammern. Ob dazu jeder fähig ist, ist vor

allem dann fraglich, wenn man immer

schneller heranwachsen und dabei im-

mer mehr Richtungsweiser wahrnehmen

soll.

Dass die Angst in erster Linie dazu da ist,

den Menschen zu schützen, ist keine

Neuigkeit mehr. Ein Augenöffner ist es

jedoch, beim Verspüren von Angst exter-

ne Faktoren herauszufiltern und zu ent-

scheiden, was man selbst unternehmen

kann. Dass die Angst beim Finden der

eigenen Freiheit eine Rolle spielt, wirkt

im ersten Moment widersprüchlich, da

gerade diese Emotion doch unser Han-

deln am meisten einschränken kann.

Doch der Schlüssel zu einem autonomen

Selbst liegt auch im ständigen Reagieren

auf äußere, deterministische Einflüsse,

wozu eben auch die Angst zählen kann.

Kitschig klingt es, wenn von einem

heroischen „Sich-seinen-Ängsten-Stellen“

geredet wird, doch der Umgang mit ih-

nen kann einen tatsächlich stärken. Aus

der eigenen Furcht einen inneren Kom-

pass zu destillieren, führt schlussendlich

zur Freiheit.

Plötzlich sind wir damit konfrontiert, unsere Zukunft alleine auf

die Reihe zu bekommen. Wir werden nunmehr ohne Stützräder

undwegen G8 noch früher, unreifer als frühere Jahrgänge in Stu-

dium, Ausbildung und Arbeitswelt geworfen. Das kann durchaus

furchteinflößend sein. Und hinzu kommt gerade noch eine glo-

bale Pandemie, die alle Pläne des Sommers, mit denen man sich

vielleicht auch für seine zwölf Jahre Schule selbst belohnen

wollte, ohnehin über den Haufen wirft.

3 Frisch aus der Schülerzeitung

Layout: Pascal Mederer, Illustration: Marlene Stahl