Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 41

„Die Waffen nieder" – Bertha von Suttners Leben gegen den Krieg
Einsichten und Perspektiven 1 | 14
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Unpolitische Jugend
Bertha Sophia Felicita Gräfin Kinsky von Chinic und Tet-
tau kommt am 9. Juni 1843 in Prag als Halbwaise zur Welt.
Es ist eine Zeit, die geprägt ist von verschiedensten Ent-
wicklungen, auch Widersprüchen: Es ist die Zeit, in der der
österreichische Adel – noch – das Sagen hat, das räsonie-
rende Bürgertum aber bereits für den Aufstand rüstet.
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Es
ist auch die Zeit, in der ein Sexualitätsdiskurs Hochkon-
junktur erlebt,
2
der die Geschlechterdifferenz als biologi-
sches Faktum wertet, in der zugleich aber immer mehr
Frauen einen Beruf ergreifen.
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Von diesen Entwicklungen,
die im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die
Stabilität der Habsburger Monarchie immer wieder bedro-
hen, ist Bertha Kinsky bereits früh betroffen. Zwar ent-
stammt ihr Vater, Freiherr Franz Joseph Kinsky, dem böh-
mischen Hochadel, aber ihre Mutter ist eine ‚Ungeborene’,
eine ‚einfache’ von Körner. Als der Vater schon vor Berthas
Geburt im hohen Alter von 74 Jahren verstirbt, begegnen
die hochadeligen Kinskys der ‚ungeborenen’ Sophia Kinsky
mit Verachtung, die diese mit ihrer kleinen Tochter schon
bald nach Brünn vertreibt. Ausgestattet mit einer Witwena-
panage und einem kleinen Vermögen versucht die Mutter –
und als sie alt genug ist, auch die Tochter – Zugang zur so-
cieté zu finden. Bertha Kinsky wird in den Pflichtenkanon
weiblicher Adeliger eingeführt. Um doch noch – auf dem
Wege einer Heirat – Zugang zumHochadel zu erhalten, übt
sie sich in den Künsten weiblicher Repräsentation. Doch die
1 Brigitte Spreitzer: Texturen. Die österreichische Moderne der Frauen, Wien 1999.
2 Franz X. Eder: „Durchtränktsein mit Geschlechtlichkeit“. Zur Konstruktion der bürgerlichen Geschlechterdifferenz im wissenschaftlichen
Diskurs über die „Sexualität“ (18.–19. Jahrhundert), in: Von Bürgern und ihren Frauen, hg. v. Margret Friedrich u. Peter Urbanitsch,
Wien/Köln/Weimar 1996, S. 25–47. Marianne Breiter: Ausbruch ins Gefängnis? Zur Funktion weiblicher Krankheit im bürgerlichen Ge-
schlechterarrangement, in: „Das Weib existiert nicht für sich“. Geschlechterbeziehungen in der bürgerlichen Gesellschaft, hg. v. Heide
Dienst und Edith Sauer, Wien 1990, S. 64–81.
3 Edith Rigler: Frauenleitbild und Frauenarbeit in Österreich vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg, Wien 1976.
Bertha von Suttner lebte ein ungewöhnliches Leben, das insbesondere für eine Mitte
der 1840er Jahre geborene Adelige unerhört war. Bekannt wurde sie vor allem als Frie-
densaktivistin, denn mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln schrieb sie gegen
den Wahnsinn des Krieges an, war maßgeblich an der Formierung einer internationa-
len Friedensbewegung beteiligt und versuchte insbesondere auch, die Menschen in
Europa gegen einen drohenden Weltkrieg zu mobilisieren. Im Folgenden soll das viel-
fältige pazifistische Engagement dieser beeindruckenden Frau im Kontext ihres
Lebens vorgestellt werden.
Jugendbildnis Bertha von Suttners
Abbildung: ÖNB/Wien/
Camilla von Rainer
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