Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 4/13) - page 220

Entwicklungsweg der KPD war die Formierung des Thäl-
mannschen Zentralkomitees im Jahre 1925. Die Herausbil-
dung einer stabilen marxistisch-leninistischen Führung […]
war Ergebnis eines tiefgreifenden inneren Wachstumspro-
zesses. […] Mit Ernst Thälmann trat ein Kommunist an die
Spitze der Partei, der sich zur bedeutendsten proletarischen
Führungspersönlichkeit der KPD entwickelte.“
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Zu den
Funktionären dieses Zentralkomitees zählten Wilhelm
Pieck und Walter Ulbricht, die die ersten Jahrzehnte der
DDR prägten und deren Erbe Honecker war. Die Grün-
dung der DDR war nun primär der größte Erfolg der deut-
schen Kommunisten – und keine Entscheidung der sowje-
tischen Siegermacht. „Die KPD übernahm die Verantwor-
tung in einer Welt, in der sich das Kräfteverhältnis
einschneidend verändert hatte. Die Sowjetunion hatte ihren
Einfluss auf die internationale Politik außerordentlich er-
höhen können. Eine neue Welle sozialer Revolutionen er-
griff den europäischen und den asiatischen Kontinent.“
54
Der Aufruf des ZK der KPD vom 11. Juni 1945 war für die
Autoren der Thesen die entscheidende Konzeption
55
für die
„antifaschistisch-demokratische Umwälzung, mit der dem
Sozialismus auch auf deutschem Boden Bahn gebrochen
werden sollte“.
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Über den direkten Einfluss von Stalin und
der sowjetischen Führung auf den Text des Aufrufs selbst
und die personelle Zusammensetzung der KPD-Führung
schweigen die Thesen.
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Dies gilt auch für die Gründung
der Einheitspartei, die 1946 durch die Zwangsfusion der
SPD/SBZ mit der KPD entstand und auch für die Grün-
dung der DDR 1949.
Obwohl die KPD ihre Politik für ganz Deutsch-
land konzipiert hatte, konnte sie die soziale Umwälzung
und den Aufbau ihrer Parteidiktatur nur in dem Drittel des
Landes durchsetzen, das von der sowjetischen Besatzungs-
macht kontrolliert wurde; folgerichtig wird die Verantwor-
tung für die Teilung des Landes den Westmächten und den
mit ihnen verbundenen deutschen Politikern zugewiesen.
Der ordnungspolitische Grundsatzkonflikt zwischen De-
mokratie und Diktatur, Plan und Markt prägte die deutsche
Teilungsgeschichte. Die Thesen stellen sie auch als eine sol-
53 Thesen (wie Anm. 36), S. 21.
54 Ebd., S. 60.
55 Über die Vorbereitungen der KPD-Programmatik in Moskau während des Krieges vgl. Peter Erler, Horst Laude, Manfred Wilke (Hg.):
„Nach Hitler kommen wir“, Berlin 1994.
56 Thesen (wie Anm. 36), S. 62.
57 Vgl. Michael Kubina: Der Aufbau des zentralen Parteiapparates der KPD 1945-1946, in: Manfred Wilke (Hg.): Die Anatomie der Parteizen-
trale. Die KPD/SED auf dem Weg zur Macht, Berlin 1998, S. 49–118.
58 Thesen (wie Anm. 36), S. 72.
59 Ebd., S. 72.
60 Ebd., S. 49 f.
61 Genannt werden: Hugo Eberlein, Leo Flieg, Felix Halle, Werner Hirsch, Hans Kippenberger, Willi Leow, Heinz Neumann, Hermann
Remmele, Hermann Schubert und Fritz Schulte. Zu ihren Biografien vergleiche: Hermann Weber/Andreas Herbst: Deutsche Kommuni-
sten, Biografisches Handbuch 1918–1945, Berlin 2004.
62 Thesen (wie Anm. 36), S. 50.
Abgrenzung: die SED und Gorbatschows Geschichtspolitik
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che dar, fokussieren sich aber besonders auf die Angriffe des
Westens auf den sozialistischen deutschen Staat. Die SED
hatte sich „des politischen und militärischen Drucks der
NATO-Staaten und deren Versuch zur Beschwörung einer
inneren Konterrevolution zu erwehren“.
58
Aber die Ereig-
nisse des 17. Juni 1953 werden nicht erwähnt, und damit
bleibt die katastrophale Bedeutung dieser Niederlage in der
Parteigeschichte der SED ausgeblendet; zumal an diesem
Tag nur das militärische Eingreifen der sowjetischen Besat-
zungsmacht die Herrschaft der SED rettete. Die Angriffe
des Westens wurden aber erfolgreich zurückgeschlagen, in-
dem die Partei „die Grenzen der DDR und den Frieden im
Herzen Europas auf so wirksame Weise schützte, wie das
mit den Maßnahmen vom 13. August 1961 geschehen ist“.
59
Das Problem der Rehabilitierung deutscher Kom-
munisten, die im sowjetischen Exil Opfer des stalinistischen
Terrors wurden, befanden die Thesen, sei in der DDR ge-
löst: „Auch deutsche Kommunisten waren in der zweiten
Hälfte der Dreißigerjahre von ungesetzlichen und unge-
rechtfertigten Repressalien in der Sowjetunion betroffen.
Die KPD verlor durch diese demWesen des Sozialismus zu-
tiefst widersprechenden Vorgänge“
60
auch Mitglieder und
Funktionäre im sowjetischen Exil.
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Im Gegensatz zur
KPdSU hatte die SED aber bereits 1956 diese Aufgabe der
Rehabilitierung erledigt; nach „dem Bekanntwerden aller
Umstände stellte die SED die Parteimitgliedschaft und die
Parteiehre der von Repressalien betroffenen deutschen
Kommunisten wieder her“.
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Vom Schweigegebot, dem die
Rückkehrer aus dem Gulag oder der sowjetischen Verban-
nung und die Angehörigen der Ermordeten in der DDR un-
terworfen worden waren, natürlich kein Wort.
Während Gorbatschow aus der Analyse der Krise
der sowjetischen Ökonomie und ihres politischen Systems
den Schluss zog, das Machtmonopol der KPdSU in einem
Prozess der Demokratisierung aufzugeben, beharrte Ho-
necker unnachsichtig auf der führenden Rolle der Partei:
„Ausschlaggebend für den erfolgreichen Weg der SED er-
weist sich stets aufs neue, daß an ihrer Spitze ein einheitlich
und geschlossen handelndes marxistisch-leninistisches Kol-
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