STMUK_Handreichung_Organspende_2021_Web_BF

32 besteht in der Grenzziehung und der Definition von Erfolg. Ab welchem Zeitpunkt würde man eine Trans plantation als erfolgreich bezeichnen? Ab einer Lebensverlängerung von wenigen Monaten oder erst nach Jahren? Welche Lebensqualität sollten Patienten nach einer Transplantation erreichen? Ist diese individuell beziffer- und messbar? Weitere Probleme bereiten auch die Gegenläufigkeit der Kriterien Dringlichkeit und Erfolgsaussicht. Besonders dringliche Patienten haben oft eine deutlich schlechtere Prognose und damit geringeren Erfolg als weniger dringliche Patienten. Verfassungsrechtlich verkompliziert sich die Beurteilung durch das Prinzip der Lebenswertindifferenz. Für die Transplantation bedeutet das, dass kein Patient a priori bei der Zuteilung von Lebenschancen, konkret von Spenderorganen, benachteiligt werden darf, sondern dass alle die gleiche Chance haben müssen. - Altersrationierung Die Individualität eines einzelnen Patienten und Rückschlüsse auf dessen Gesundheitszustand lassen sich allein mit dem kalendarischen Alter nur schwer erfassen. Das kalendarische Alter und das biologische Alter eines Patienten können divergieren. Starre Altersgrenzen, die Patienten pauschal bevorzugen oder benach teiligen, sind somit weder medizinisch sinnvoll noch verfassungsrechtlich zulässig. Jeder Mensch hat das gleiche Lebensrecht, und zwar zu jeder Zeit und in jedem Alter. Allerdings werden Kinder i.d.R. bevorzugt. Der Zuweisungsvorteil für Kinder wird jedoch nicht durch das Alter begründet, sondern durch die Gefahr von Entwicklungsschäden im Falle einer längeren Wartezeit; und damit mit einer erhöhten Dringlichkeit. - Selbstverschulden Der Verlust eines Organs, der eine Organtransplantation notwendig macht, ist nicht in jedem Falle schicksal haft, sondern basiert in vielen Fällen auf sogenannten „selbstschädigenden Verhaltensweisen“. So spielt bei circa einem Fünftel der Fälle eines chronischen Nierenversagens ein jahrelanger Schmerzmittelmissbrauch eine Rolle, Alkoholmissbrauch ist für rund ein Drittel der Lebertransplantationen verantwortlich und Rauchen ist einer der wichtigsten pathogenetischen Faktoren für eine Lungen- und Herztransplantation. Andererseits gibt es jedoch eine Vielzahl von Patienten, die ohne dieses „selbstschädigende Verhalten“ so krank geworden sind, dass sie eine Transplantation benötigen. - Die Mehrheit der Bevölkerung würde es daher als gerecht empfinden, wenn Patienten, die ihre Gesundheits chancen eigenverantwortlich verschlechtert haben, nachrangig transplantiert werden. Im gegenwärtigen Transplantationsrecht spielt der Aspekt des Selbstverschuldens, vor allem auch aus verfassungsrechtlichen Bedenken, grundsätzlich nur eine untergeordnete Rolle. - Allerdings werden bei der Beurteilung der Kooperationsbereitschaft des Patienten Gesichtspunkte berück sichtigt, die eng mit einem früheren Selbstverschulden des Patienten zusammenhängen. Aktive Raucher werden in der Regel von einer Herz- oder Lungentransplantation aufgrund ihres fehlenden Gesundheitsver haltens ausgeschlossen. Die Richtlinien der Bundesärztekammer für die Lebertransplantation fordern für Patienten mit einer Alkohol-bedingten Lebererkrankung grundsätzlich eine Alkoholkarenz von 6 Monaten. Diese wird über Bluttests, die auch länger zurückliegenden Alkoholgebrauch nachweisen können, überprüft. Jedoch ist diese 6-Monatsregel nicht unproblematisch. Vor allem dann, wenn die Erstdiagnose erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der Patient bereits so krank ist, dass er eine Karenzzeit von 6 Monaten voraussicht lich nicht mehr erleben wird. Daher kann in begründeten Ausnahmefällen, insbesondere bei akut dekompen sierter alkoholischer Lebererkrankung, von diesem Erfordernis einer mindestens sechsmonatigen völligen Alkoholabstinenz abgewichen werden. - - - - Finanzkraft Die Grundlage des deutschen Transplantationssystems ist der Altruismus der Spender, die ihre Organe uneigennützig der Gemeinschaft zur Verfügung stellen, um das Leben ihnen fremder Empfänger zu retten. Finanzielle Aspekte spielen daher im geltenden System auf Spender und Empfängerseite keine Rolle. Diese Haltung entspricht auch den internationalen Übereinkünften, die darauf abzielen, Organhandel zu unterbinden.

RkJQdWJsaXNoZXIy ODExNDM=