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aviso 1 | 2017

NISCHEN IM FOKUS

:

COLLOQUIUM

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Professor Dr. Gerhard Haszprunar

ist Lehrstuhlinhaber für Systema-

tische Zoologie der Ludwig-Maximilians-Universität München,

Generaldirektor der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen

Bayerns (SNSB) und Direktor der Zoologischen Staatssammlung

München.

Viele Arten bedeuten viele Rollen bzw. Nischen

und damit auch eine hohe Belastbarkeit des ge-

samten Ökosystems in Krisenzeiten: Hat man

sich in früheren Jahren insbesondere bei Mas­

senvermehrungen von Schädlingen größte Sorgen

um »den Wald« gemacht, kann nun Entwarnung

gegeben werden. Die hohe Artenvielfalt ist die beste

Garantie, dass der Nationalpark Bayerischer Wald

auch solche Krisen, aber auch den anstehenden

Klimawandel gut bewältigen kann.

as Ergebnis gibt auch jenen Stimmen Recht,

die stets dafür plädiert hatten, auch bei

dramatischen Ereignissen nicht künstlich

in das System einzugreifen. Gerade Kleinkata-

strophen und lokale Krisenereignisse schaffen klein-

räumig eng begrenzte neuartige bzw. andere Lebens-

bedingungen als in der Umgebung, schaffen also

neue Nischen. Es gilt auch der Umkehrschluss:

je mehr ökologische Nischen, umso mehr Arten-

vielfalt.

Aber nicht nur die große Artenzahl überraschte

Forscher wie Verantwortliche des Nationalparks:

Knapp die Hälfte der durch die Genetik

bestimmten Arten in der langen Liste aus dem

BayerischenWald ist nur jeweils durch ein einziges

Exemplar vertreten – sogenannte Singletons. Es

gibt also weit mehr wirklich seltene Arten als

bisher angenommen. Noch läuft die Auswertung

und die Forscher der ZSM sind sich sicher, dass

der Nationalpark auch noch völlig unentdeckten

Kleintierarten ein Zuhause gibt.

Das Projekt »Malaisefalle Bayerischer Wald« zeigt

auch mit aller Eindringlichkeit, dass das professi-

onelle und wissenschaftlich begründete Sammeln

selbst von sehr vielen Insekten keineswegs die Ar-

tenvielfalt bedroht. Gerade Insekten haben ganz

generell ein sehr hohes Vermehrungspotenzial, Artengefährdung in

dieser Tiergruppe, zu der über 90% der einheimischen Fauna zählen,

ist daher nahezu ausnahmslos durch die Beeinträchtigung, Störung

oder gar Zerstörung ihrer Lebensräume bedingt. Mehr noch: Gerade

Studien auf Sammelbasis, durch welche die entsprechenden Resulta-

te wie bei der hier vorgestellten Untersuchung überprüfbar gehalten

werden, sind unabdingbare Voraussetzungen für dauerhaftes Moni-

toring zur Dynamik der Artenvielfalt. Benötigt wird eine beleg- und

überprüfbare Feststellung, welche Arten hinzugekommen oder verlo-

ren gegangen sind, bzw. wie sich die Häufigkeit von Arten bei unter-

schiedlichen Rahmenbedingungen (etwa das Sommerwetter oder die

Schneelage) geändert hat.

ie neuen Methoden der Artenbestimmung ersetzen nun aber

nicht die funktionelle »Nische« der taxonomischen Experten,

ganz imGegenteil: Gerade die nun vorzunehmende Erforschung

der genauen Rolle der einzelnen Tierarten im Ökosystem Bayerischer

Wald bedarf dieser Experten mehr als je zuvor. Hier sind die Ausbil-

dungsinstitutionen wie Fachhochschulen und Universitäten, nicht

minder aber die öffentliche Hand aller Ebenen durch die Bereitstel-

lung entsprechender Stellen auch in Zukunft gefordert.

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