STMUK_Handreichung_Organspende_2021_Web_BF

8 - - - - - - - ­ - 1 Organspende – ein Thema für die Schule? Die unterrichtliche Behandlung des Themas Organspende fordert sowohl Lehrkräfte als auch Schülerinnen und Schüler in besonderem Maß heraus, denn die jungen Leute sollen sich mit einer Entscheidung ausein andersetzen, die das Nachdenken über Leben und Tod einschließt – für die meisten in dieser Altersstufe ein Tabu. Daher stellt sich zunächst die Frage, weshalb sich ein jugendlicher Mensch überhaupt mit dem Thema Organspende befassen sollte. Im Folgenden werden hierzu drei Aspekte beschrieben. 1.1 Jugendliche können als Söhne, Töchter oder Geschwister von dem Thema berührt werden – Fallbericht eines Arztes „Bitte einen Anästhesisten für den Schockraum bereithalten“, lautete der Anruf der Rettungsleitstelle, „Not arzt kommt mit laufender Reanimation“. Eine dreiviertel Stunde später erschien mein Kollege zusammen mit dem Rettungsteam und der beatmeten Patientin auf unserer Intensivstation. Eine Überraschung: die Patien tin war nicht wie so häufig bei Reanimationseinsätzen älter und mit erheblichen Vorerkrankungen behaftet, sondern 47 Jahre jung und bis dato nicht wesentlich krank gewesen. Sie war vor wenigen Tagen am Knie gelenk operiert worden und aus unerfindlichen Gründen hatte sie nicht, wie sonst üblich, blutverdünnende Spritzen bekommen. Sie war leblos von ihrer Tochter in ihrer Wohnung aufgefunden worden, die dann sofort den Notarzt verständigte. Die Computertomographie bestätigte eine massive Lungenembolie. Bei der Aufnahme zeigten sich schon Zeichen einer Gehirnschädigung bedingt durch Sauerstoffmangel. Zwölf Stunden nach der stationären Auf nahme endeten bei der Patientin, die von Anfang an künstlich beatmet werden musste, die letzten eigenen Atemzüge. Wir starteten eine erste klinische Untersuchung zu der Frage, ob die Hirnfunktion wieder herstellbar oder unwiederbringlich ausgefallen war. Da Letzteres vorlag, erfolgte der Anruf bei der DSO (Deutsche Stiftung Organtransplantation) und 12 Stunden später wurde eine zweite Untersuchung im Hinblick auf einen irrever siblen Hirnfunktionsausfall durchgeführt. Nachdem sich bei der apparativen Diagnostik (EEG: Elektroenze phalogramm) keinerlei Zeichen einer elektrischen Aktivität im Gehirn mehr zeigten und in der Computer tomographie eine massive Gehirnschädigung festgestellt wurde, wurde der Tod zweifelsfrei festgestellt. Danach folgte der schwere Gang an das Patientenbett zum Ehemann. Vor 48 Stunden hatte er noch unbeschwert mit einer jungen, lebhaften und wie er sie beschrieb, stets humorvollen Ehefrau zusammengelebt. Jetzt musste die schwere Entscheidung zur Freigabe der Organe für eine Explantation (Organentnahme) getroffen werden. Es existierte kein Eintrag im Organspenderegister 2 , keine Patientenverfügung und auch kein Organspendeausweis. So blieb die schwere Entscheidung allein beim Ehemann als dem nächsten Angehörigen. Wir führten mehrere Gespräche. Es ist für den Angehörigen nahezu unfassbar, einen irreversiblen Ausfall der Hirnfunktion, den sogenannten „Hirntod“, als Tod zu begreifen. Auf Grund der medizinischen Maßnahmen schlägt das Herz, ist der Körper warm und rosig, hebt und senkt sich der Brustkorb durch die Aktivität der Beatmungsmaschine. Ich schaltete die Beatmungsmaschine für einen kurzen Zeitraum aus, um dem Ange hörigen zu zeigen, dass die Patientin keinen eigenen Atemantrieb mehr hatte und erklärte ihm, dass ohne Beatmung innerhalb von wenigen Minuten auch ihr Herz zu schlagen aufhören würde. Er willigte ein. Es war bereits spät abends als wir in den Operationssaal fuhren. Die Nieren, die Lunge und die Leber konnten entnommen werden. Das Herz war durch die Reanimation zu geschädigt, um transplantiert werden zu können. Während bei uns die Organe entnommen wurden, lief gleichzeitig an mehreren Orten in Europa die Vorbereitung von Patienten für die Transplantation an und sie wurden in die Operationssäle gefahren. Hier stirbt ein Mensch, dort wird Leben erhalten und lebenswerter gemacht. 2 Eintragungen in das Organspenderegister werden voraussichtlich erst ab Mitte 2022 möglich sein.

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