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27 Im September 1994 haben die großen deutschen wissenschaftlichen Gesellschaften folgende Erklärung zum Hirntod herausgegeben: 1. Es gibt nur einen Tod, aber verschiedene Ursachen. 2. Alle Lebensmerkmale, die ein höheres Lebewesen kennzeichnen, entstehen durch die Tätigkeit des Gehirns. Ein Mensch ist tot, dessen Hirnfunktion völlig und endgültig ausgefallen ist. 3. Das Gehirn fällt dann vollständig und endgültig aus, wenn es abstirbt. 4. Der völlige und endgültige Gehirnausfall des Menschen zeigt allen Menschen gemeinsame körperliche Gegebenheiten auf. 5. Das Nachdenken über den Tod bestätigt, dass die Medizin ihren Fortschritt den Naturwissenschaften, ihre Menschlichkeit den Geisteswissenschaften verdankt. Wenn das menschliche Gehirn als Steuerungszentrale, als zentraler Sitz des Lebens ausgefallen ist und zwar total und irreversibel, können zwar körperliche Systeme noch intakt sein, sie können aber nicht mehr von der Zentrale koordiniert werden. Der Mensch hat damit seine Fähigkeit als Mensch zu existieren verloren. Die total zerstörte Steuerungszentrale des Menschen kann nicht einmal mehr teilweise wiederhergestellt werden. Der Mensch ist theologisch eine Einheit von Leib, Seele und Geist. Das eine kann ohne das andere nicht existieren. Der Mensch ist mehr als die Summe seiner funktionierenden Systeme, er ist mehr als die Summe seiner medizinischen Daten, er ist auch mehr als die Summe seiner Gene. Die Persönlichkeit eines Menschen besteht nicht nur aus seinem Körper, sondern auch aus seinen Gefühlen und Gedanken, seinem Charakter und aus seinem Glauben. Geist, Seele und Körper sind nicht voneinander zu trennen. Jeder Trennungsversuch kann der nüchternen Betrachtungsweise, der ein Theologe auch verpflichtet ist, nicht standhalten. Ein Mensch ist verstorben, wenn der irreversible Totalausfall des Gehirns eingetreten ist, der Mensch damit die Fähigkeit verloren hat, die Funktionen des Körpers zu aktivieren und zu koordinieren. Wenn keine Beat mungsapparatur mehr eingeschaltet ist, alle Systeme einschließlich der Subsysteme ausfallen, das Gehirn als Sitz des Lebens, als Sitz der Persönlichkeit, der Seele und des Geistes nicht mehr existiert, der Mensch seine spezifischen menschlichen Fähigkeiten wie zu denken, beurteilen, entscheiden, Kontakt aufzunehmen, fühlen, spüren und wahrnehmen verloren hat, kein seelischer Ablauf mehr stattfindet, steht der Tod des Menschen fest. Die Erkenntnis, dass der Tod der einzelnen Zelle erst allmählich eintritt, steht dieser Erkennt nis nicht entgegen, es sei denn, man verlegt den Sterbeprozess bis in die Verwesung. - - Die Schwierigkeiten mit der Diagnose Hirntod liegen in der Vermittlung. Es ist ein ganz schweres Unterfangen, Angehörigen zu verdeutlichen, dass ihr Patient verstorben ist, wenn sie ihn anfühlen und spüren, dass er noch warm ist, dass seine Haut rosig durchblutet den Eindruck eines Lebenden macht. Es ist schwierig für sie zu verstehen, dass ihr Patient verstorben ist, wenn er wie Tage zuvor an die Monitore und Beatmungs maschinerie angeschlossen ist. Wie sollen sie begreifen, dass ihr Patient als Hirntoter wie ein Mensch ohne Kopf ist, so wie man es von Hingerichteten weiß. - Die Entdeckung der modernen Medizin, dass ein Mensch, der verstorben ist, mit Teilen seines sterblichen Leibes noch Segen stiften kann, ist eine einzigartige Gelegenheit, die Wunder der Schöpfung neu zu preisen und Menschen die Verantwortung für ihren sterblichen Leib einmal mehr nahezubringen. Autor: Prof. Dr. Werner Stroh (evangelischer Theologe), seit 1987 Honorarprofessor für „Ethische Fragen in der Medizin“ an der Justus-Liebig-Universität Gießen (†)

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