STMUK_Handreichung_Organspende_2021_Web_BF

22 nicht mehr haltbar erklärte (President‘s Council on Bioethics 2008). Das Gehirn besitze nicht die zentrale, unverzichtbare Integrationsfunktion für den Organismus, da viele zumindest teilintegrierte Prozesse im Körper auch bei Hirntoten weiter ablaufen (u. a. Regulation der Körpertemperatur, Wundheilung, Infek tionsbekämpfung, bis hin zum Austragen einer Schwangerschaft). ­ Neben dieser biologischen Kritik gibt es aber auch grundsätzlichere Bedenken gegenüber der Hirntod-Konzeption, da diese in verschiedener Hinsicht nicht unserem lebensweltlichen Todesverständnis entspricht. Hirntote Patien ten weisen dem äußeren Anschein nach viele „Lebenszeichen“ auf (z.B. Atembewegungen, warme, durchblutete Haut, Körperausscheidungen), sie sind äußerlich kaum von anderen Intensivpatienten zu unterscheiden und werden anders behandelt, als dies bei einem Leichnam sonst üblich ist (u. a. Ansprache durch das Pflegepersonal, Gabe von Schmerzmedikamenten). Nun kann man unterschiedlicher Auffassung sein, welche Bedeutung es für die Ausgangsfrage hat, dass hirntote Patienten äußerlich noch so lebendig wirken. Für die Praxis aber bleibt festzuhalten: Das Hirntod-Konzept setzt ein Todesverständnis voraus, das es vom Personal und von Angehörigen verlangt, von dem sonst zentralen Aspekt der (fehlenden) Lebendigkeit zu abstrahieren. - Auch der Deutsche Ethikrat hat sich im Jahr 2015 mit der Hirntod-Problematik befasst. Die Mitglieder waren sich dabei einig, dass der Hirntod (IHA) als Voraussetzung für die postmortale Organspende beibe halten werden sollte. Umstritten war hingegen, ob mit dem irreversiblen Ausfall aller Gehirnfunktionen auch der Tod des Menschen eingetreten ist. Eine Mehrheit vertrat die Auffassung, dass der irreversible Hirnfunktionsausfall der Tod des Menschen ist und dass die Organentnahme nur nach Feststellung des Todes des potenziellen Organspenders durch den irreversiblen Hirnfunktionsausfall zulässig sei (Dead-Donor-Rule). Eine Minderheit hielt dagegen den Hirntod nicht für den Tod des Menschen, sprach sich aber für eine Organ entnahme nach diagnostiziertem irreversiblen Hirnfunktionsausfall (Hirntod) aus (Aufgabe der Dead-Donor-Rule). ­ - Einwilligung zur Organspende Bei der Organentnahme sind vor allem zwei ethische Verpflichtungen relevant, die in einem gewissen Span nungsverhältnis zueinander stehen: Die Verpflichtung, die Selbstbestimmung des Organspenders zu respek tieren und die Pflicht zur Hilfeleistung bei schwerkranken Patienten, denen nur mit einer Organspende geholfen werden kann. Unterschiedliche Regelungen zur Organentnahme treffen dabei eine jeweils unterschiedliche Balance dieser beiden ethischen Verpflichtungen. - - Die Widerspruchslösung, die z.B. Österreich, Belgien oder Spanien praktizieren, räumt den Hilfsverpflichtungen gegenüber den potenziellen Organempfängern ein höheres Gewicht ein, da von einer allgemeinen Zustimmung zur Organspende ausgegangen wird, solange der Betroffene dieser nicht ausdrücklich widersprochen hat. Die Zustimmungslösung setzt hingegen eine ausdrückliche Zustimmung zur Organspende voraus und räumt damit dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen Vorrang ein. Dabei lassen sich zwei unterschiedlich weite Regelungen differenzieren: Bei der engen Zustimmungslösung ist die Organentnahme nur dann zulässig, wenn der potenzielle Spender selbst seine Einwilligung gegeben hat. Bei der erweiterten Zustimmungslösung können hingegen auch Angehörige oder andere dem potenziellen Spender nahestehende Personen in die Organentnahme einwilligen. In Deutschland sieht das TPG eine erweiterte Zustimmungslösung vor. Demnach ist die Entnahme von Organen und Geweben bei einem hirntoten Spender zulässig, wenn dieser selbst vorab in die Entnahme eingewilligt hat oder , sofern der Verstorbene zu Lebzeiten keine Entscheidung getroffen hat, wenn nächste Angehörige oder eine volljährige, demmöglichen Spender besonders nahestehende Person ihre Zustimmung in die Organentnahme gegeben haben. Allerdings darf eine Organentnahme nicht erfolgen, wenn auch nur einer der zu beteiligenden nächsten Angehörigen oder die zu beteiligende nahestehende Person der Organ entnahme widerspricht. - Trotz vielfältiger Aufklärungs- und Informationskampagnen konnte mit dieser erweiterten Zustimmungslösung keine ausreichende Spendebereitschaft erzielt werden.

RkJQdWJsaXNoZXIy ODExNDM=