aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 40-41

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From Samoa with Love?
Samoa-Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich.
Eine Spurensuche
Text:
Hilke Thode-Arora
Die Zeit des
Fin de Siècle, um 1900. Bewegung und Um-
bruch in Europas Wissenschaft und Technik, Politik und
Kultur. Deutschland hat imWettlauf umKolonien nun auch
seinen »Platz an der Sonne«. In Bayern regiert Prinzregent
Luitpold und gibt dem Königreich politische Stabilität. Mit
der rasanten Industrialisierung teilt sich der Tag klar in
Arbeits- und Freizeit. Dies führt zu einem Aufblühen aller
Formen des Unterhaltungsgeschäfts.
Für fünfzig Pfennig um die Welt
Eines davon waren Völkerschauen – Schaustellungen von
außereuropäischen Menschen, die vor zahlendem Publi-
kum als »typisch« erachtete Tätigkeiten ihrer Kultur zeigten.
Völkerschau-Truppen wurden für die Dauer von mehreren
Monaten bis Jahren angeworben und tourten durch viele
Gastspielorte. Auftrittsorte waren zoologische Gärten, Ver-
gnügungsparks, Wachsfigurenkabinette und kleine Bühnen.
Was die Machtverhältnisse und Auftrittsbedingungen angeht,
war jede Völkerschau anders. Das Spektrum reicht von bru-
talen Impresarios, welche die Menschen unter schlimmsten
Bedingungen wie Gefangene hielten, so dass viele von ihnen
starben, bis hin zu Völkerschau-Profis unter den Teilnehmern –
etwa den Sioux-Indianern der Pine Ridge Reservation oder
einer Reihe von Somali –, die über mehrere Jahrzehnte ihres
Lebens regelrechte Karrieren bei verschiedenen Völkerschau-
Unternehmungen machten und sogar Vertragsbedingungen
diktieren konnten.
Verträge mit den
Völkerschau-Teilnehmern regelten
gewöhnlich Unterbringung, Verpflegung, medizinische
Versorgung, Gagen und die Art der Tätigkeiten. Während
einige Teilnehmer sehr gut einschätzen konnten, was eine
Völkerschau-Reise bedeutete, litten andere nach anfänglicher
Abenteuerlust schnell unter Heimweh.
Der Clou der Völkerschauen war die Illusion einer Reise in
die entsprechende Region – indes ohne Strapazen oder hohe
Kosten, für nur fünfzig Pfennig Eintritt: Um 1900 waren
Fernreisen selten; über fremde Weltgegenden las man nur in
Büchern oder Zeitungen. Was heute bizarr erscheint – Men-
schen aus den Kolonien, zur Schau gestellt in Zoos Seite an
Seite mit Tieren – war damals Teil eines Ambientes, das mög-
lichst naturgetreu einen Eindruck von außereuropäischen
Regionen geben sollte.
Drei Völkerschauen
zwischen 1895 und 1911 kamen aus
Samoa und standen unter der Leitung der Brüder Marquardt,
die zugleich Ethnographica-Händler waren. Zwei Drittel der
Samoa-Sammlung des StaatlichenMuseums für Völkerkunde
in München stammen von ihnen. In einem dreijährigen,
von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Forschungspro-
jekt am Museum wurde diese Sammlung kontextualisiert
und die Geschichte der Samoa-Völkerschauen rekonstru-
iert. Das besondere daran: Die Forschung führte nicht nur
in die Archive der Gastspielorte in Europa, sondern auch
nach Samoa selbst – Nachfahren der Völkerschaureisenden
wurden ausfindig gemacht, sprachen über die Motive ihrer
Vorfahren und steuerten aus Familienerzählungen die samoa­
nische Seite der Geschichte bei.
Deutschlands »Perle der Südsee«
Die Inselgruppe Samoa, mitten im Pazifik, zog seit etwa 1850
amerikanische, britische und deutsche Pflanzer und Händler
an. Wichtigste Ware war Kopra, das getrocknete Kernfleisch
von Kokosnüssen, aus dem das damals wirtschaftlich bedeu-
tende Kokosöl gewonnen wurde. Sie stießen auf eine Gesell-
schaft, die durch den Konkurrenzkampf hoher Häuptlinge
(matai) um die allerhöchsten samoanischen Häuptlingstitel
geprägt war. Die europäischen Mächte unterstützten unter-
aviso 2 | 2014
QUINTENSPRÜNGE
WERKSTATT
linke Seite
Karikatur »Die Einverleibung Samoa‘s 1899«.
Kleidung und Haartracht der allegorischen Gestalt entsprechen denen
der 1895 bis 1897 in Deutschland weilenden Samoanerinnen.
unten links
Titelblatt der Programmbroschüre »Unsere neuen Landsleute« mit einem
samoanischen Krieger vor deutschen Fahnen, 1900.
daneben
Das Plakat für die Samoa-Schau von 1900/01 spielt mit den Klischees in euro­
päischen Vorstellungen – allerdings gibt es keine Schlangen in Samoa.
daneben
Tai Taupa´u und Fai Atanoa, um 1895. Die intime Pose der beiden Frauen
legt nahe, dass das Foto für eine männliche Zielgruppe gedacht war.
Offenbar ein frühes Pin-up-Bild.
©
Stadtmuseum Berlin | Historisches Museum Frankfurt am Main, Horst Ziegenfuss | Museum für Völkerkunde Hamburg
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