Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 6

Die „Orangene Revolution“ und die
gescheiterte Ausrichtung nachWesten
Im Herbst 2004 unterstützten der Westen und Russland je-
weils unterschiedliche Kandidaten bei der anstehenden Prä-
sidentschaftswahl. Wiktor Juschtschenko propagierte eine
Westausrichtung seines Landes und Wiktor Janukowitsch
positionierte sich als Vertreter einer russlandfreundlichen
Politik. Beide gehörten als ehemaliger bzw. amtierender Mi-
nisterpräsident zumEstablishment. Juschtschenko fand sei-
ne Wählerbasis im Westen des Landes und stützte sich auf
entschiedene Demokraten, Nationalisten und Oligarchen,
die die Spitze des Reichtums noch nicht erklommen hatten.
Janukowitsch hatte seine Hochburgen im Osten, wo auch
die Oligarchen beheimatet waren, als deren politischer Arm
er galt.
Russlands Präsident gratulierte Janukowitsch nach
der Stichwahl bereits vor der Verkündigung des offiziellen
Wahlergebnisses. Nach offiziellen Angaben hatte Januko-
witsch 49,46 Prozent der Stimmen errungen, Juschtschenko
46,61 Prozent. Unzählige Ukrainer und westliche Wahlbe-
obachter hielten das offiziell verkündete Ergebnis jedoch
1 Quelle: Repräsentative Umfrage von GallupPoll, Juni 2009,
Differences.aspx?version=print, in: Ukraineanalysen 60, S. 16. Umfragen von russischen bzw. und ukrainischen Instituten bzw. im Auftrag
der „Deutschen Welle“ kamen ebenfalls zu sehr hohen Sympathiewerten für Russland, mit einer gewissen Ausnahme für die Westukraine,
s. Ukraineanalysen 60, S. 20–24, sowie Ukraineanalysen 88, S. 14.
archiv.html [16. März 2014].
Zur Lage der Ukraine zwischen Ost und West: Strukturen und aktuelle Entwicklungen
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nicht für authentisch. Proteste und westlicher Druck er-
zwangen eine Wiederholung der Stichwahl, bei der Jusch-
tschenko einige Prozentpunkte mehr als sein Rivale errang.
Die an die Macht gelangten Orange-Revolutionäre
beschäftigten sich aber eher mit internen Grabenkämpfen
als mit der Durchführung notwendiger Reformen. Oligar-
chen blieben die bestimmende Kraft in der Wirtschaft und
übten, ähnlich wie im Russland der 1990er-Jahre, starken
Einfluss in der Politik aus. Eine Annäherung an die EU fand
nicht statt, was auch an deren verständlichem Zögern lag.
Und eine Kooperation mit der NATO scheiterte am Wi-
derstand der breiten Mehrheit der Bevölkerung. Die West-
ausrichtung beschränkte sich auf symbolische Akte. Diese
führten zu Spannungen mit Moskau, die die Mehrheit der
Bevölkerung ablehnte (Grafik 1).
Im Juni 2009, viereinhalb Jahre nach dem Macht-
wechsel, waren nach einer Umfrage des US-Meinungs-
forschungsinstituts „Gallup“ nur 7 Prozent mit der Amts-
führung von Präsident Juschtschenko einverstanden, 84
Prozent waren es nicht und 9 Prozent zeigten sich unent-
schieden. Die Ergebnisse für Ministerpräsidentin Julija Ti-
moschenko sahen nur wenig besser aus.
1
Präsidentschaftskandidat Wiktor Juschtschenko spricht in Kiew
zu seinen Anhängern, 24. November 2004.
Foto: picture alliance/dpa/ap / Süddeutsche Zeitung Photo
Bundeskanzlerin Merkel mit dem ukrainischen Staatspräsidenten
Wiktor Janukowitsch auf dem Weg zur gemeinsamen Pressekon-
ferenz, Berlin 30. August 2010
Foto: ullstein bild/Tobias Seeliger
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