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aviso 1 | 2014
DER ZAHN DER ZEIT
WERKSTATT
Bemerkt wird solches nur hinter vorgehaltener Hand –
und auch nur ebendort kritisiert. Das ist das Konzept der
Ombudsleute: Dass nämlich jedwede Redlichkeitsverfehlung
im Geheimen bleiben soll, damit das blitzblanke Ansehen
keinen Schaden nimmt. Dagegen ist es äußerst hilfreich, auf
externe Plagiatoren und deren fehlende Integrität zu schimp-
fen – und schon kann der Ordinarius die Sonnenbrille wieder
aufsetzen, die ihm den Anblick von Integritätsdefiziten in der
akademischen Umgebung erspart. Pharisäer-Kollegen sind
gut beraten, für sich selbst »Person und Gewissen« zu erkun-
den. Und von den Germanisten der LMU würde man gerne
erfahren, wie es um Fremdtexte in ihrem Fach bestellt ist –
und wie die von ihnen im Schild geführte Forschungsethik
gesichert wird.
Das gilt besonders den Schavan-kritischen Geistern in den-
jenigen LMU-Fakultäten, die zum Dr. phil. oder Dr. rer.
pol. promovieren. Die zugehörige Promotionsordnung der
Ludwig-Maximilians-Universität schließt in § 16 den Entzug
des Doktorgrades auch wegen Plagiates, ja sogar bei Nut-
zung einer gewerblichen Textagentur aus – sobald fünf Jahre
vergangen sind. Das schützt Plagiatoren effektiv, weil nur
wenige Dissertationsplagiate innerhalb der ersten fünf Jahre
aufgedeckt werden. Und es bewahrt die Fakultät vor Plagiat-
Kontroll-Arbeit. Die Frist beginnt nicht erst mit Veröffentli-
chung, sondern schon mit dem Prüfungsbescheid zu laufen.
Unter dieser Münchener Promotionsordnung wäre Annette
Schavan heute unanfechtbare dottoressa und als Ministerin
womöglich noch im Amt.
Wie wäre es
also, verehrte Schavan-Berufungs-Kritiker
aus der Volkswirtschaftlichen Fakultät, der Fakultät für
Geschichts- und Kunstwissenschaften, der Fakultät für Phi-
losophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft,
der Fakultät für Psychologie und Pädagogik, der Fakultät für
Kulturwissenschaften, der Fakultät für Sprach- und Litera-
turwissenschaften und der Sozialwissenschaftlichen Fakultät,
wenn Sie sich um die eigene Promotionsordnung und deren
Plagiatverdeckungstechnik kümmerten? Dieser Aufruf gilt
insbesondere den LMU-Germanisten, die gegenüber ande-
ren mit Erklärungen schnell bei der Hand sind.
Das ist keine theoretische Frage. Vor kurzem hat Prof. Dr.
Hasso Spode darauf aufmerksam gemacht, dass Textstel-
len seines Werkes »Alkohol und Zivilisation. Berauschung,
Ernüchterung und Tischsitten in Deutschland bis zumBeginn
des 20. Jahrhunderts« (1991) in der Münchener Dissertation
von Sylvia Kloppe »Die gesellschaftliche Konstruktion der
Suchtkrankheit« (2003, publiziert 2004) wiederkehren. Der
seinerseits hintergangene Doktorvater selbst hat die Über-
prüfung jener »Dissertation« betrieben. Ob diese ein Plagiat
ist? Wird man wegen der schönen Fünf-Jahres-Frist der Pro-
motionsordnung leider, leider nicht mehr amtlich feststellen
können. Und gibt es hierzu eine halbamtliche mittelempörte
Stellungnahme der sozialwissenschaftlichen Fachschaft? Zur
Verteidigung der »Ernsthaftigkeit dieser wissenschaftlichen
Werte« … und so?
Die bigotte, pharisäerhafte
Reaktion der Kritiker
lässt zwei Deutungen zu: Entweder denken die Kommilitonen
nicht weiter nach, reagieren emotional und ignorieren den
rational fassbaren Umstand, dass jedes Strafbedürfnis seit
Vollzug der Promotion 1980 bestanden haben müsste, dass
sie sich also letztlich an einer jungen Doktorandin vergrei-
fen, die zwar abgeschrieben hat – aber keine überschießende
Strafe verdient, sondern nur den Promotionsentzug ertragen
muss. Solch fehlende Rationalität ist bei Fachschaften tolera-
bel und erwartbar, bei Ordinarien erstaunlich. Die boshaftere
Deutung lautet: Hier wird eine rituelle Abstrafung, ein Reini-
gungsritual vollzogen. Gerade weil Universitäten die eigenen
Unsauberkeiten und Unredlichkeiten nicht im Griff haben,
lässt sich »Integrität« demonstrieren oder besser: vorspielen.
Solange Frau Schavan Bundeswissenschaftsministerin war,
»gehörte sie dazu«, war protokollarisch und im Ehrbezug
den Ordinarien gleichgestellt und wurde dementsprechend
von den Großmuftis der Wissenschaft gegen Plagiatvorwürfe
verteidigt. Mit Promotionsentzug und Amtsverlust ist sie
»zumAbschuss freigegeben«, aus der Wissenschaftsgemeinde
ausgeschlossen und verliert den Schutz der Gruppensolida-
rität. Hier wird Standesdünkel gelebt und die Rechtsgleich-
heit verfehlt: Nur die Outsider müssen sich den »ethischen«
Maßstäben stellen. Das ist schäbig. Über wessen Integrität
(Ehre) müssen wir also sprechen?
Volker Rieble
lehrt Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an
der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Zum Weiterlesen:
Hermann Horstkotte, Selbstkritik mit mildernden Umständen,
-
Hermann Horstkotte, Den Nachwuchs gefeuert, den Professor
Jürgen Kaube, Frau Jedermanns Plagiat, F.A.Z. 24.1.2013,
-
Volker Rieble, Plagiatverjährung. Zur Ersitzung des Doktor-
grades, Ordnung der Wissenschaft [OdW] 2014, S. 19 =
Promotionsordnung der Ludwig-Maximilians-Universität
München für die Grade des Dr. phil. und Dr. rer. pol. vom
Stellungnahme der StudierendenvertreterInnen [!] der Sozial-
wissenschaftlichen Fakultät zur Berufung von Annette Schavan
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Zur Erklärung der Germanisten gegenüber der Hochschullei-
Internetquellen zuletzt abgerufen am 15.02.2014
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