aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 39

|39 |
aviso 1 | 2014
DER ZAHN DER ZEIT
WERKSTATT
so dass der Adressat folgen kann. Ein Blick in das bayerische
Hochschulgesetz (Art. 26 Absatz 3 Satz 2) hilft: Erstens ist
für die externen Hochschulräte nicht die Hochschulleitung,
sondern der Wissenschaftsminister zuständig. Mithin hätte
die »Erklärung« an jenen adressiert werden müssen. Auch
das hätte nichts geholfen: Weil Hochschulräte nicht einfach
abberufen oder auch nur suspendiert werden können. Sie sol-
len als Berater der Universität hinreichend unabhängig sein –
und nicht vom Femezorn einer intellektuell unangestreng-
ten (Fach-)Öffentlichkeit weggefegt werden können. Dass
die Germanisten all das übersehen und rechtlich Haltloses
äußern, bestätigt die Diagnose: Hier triumphiert die Emotion
und verdrängt die Rationalität. Für »die Glaubwürdigkeit
der Universität und ihrer Forschungsethik« ist das peinlich.
Damit wir uns
nicht missverstehen: Ich halte die Disser-
tation von Frau Schavan für ein klares Plagiat und hoffe im
Interesse universitärer Qualitätsstandards, dass das Verwal-
tungsgericht Düsseldorf dies bestätigt. Der Promotionsent-
zug darf auch nicht befristet sein (»Verjährung«). Man kann
Frau Schavan zugute halten, dass ihr verantwortungsarmer
Doktorvater sie in das doppelte Himmelfahrtskommando
einer Studienabschlusspromotion (statt Diplom) und mit
einem solch schweren, eine 25-jährige Studentin überaus
fordernden und hier offenbar überfordernden Thema »Per-
son und Gewissen« gejagt hat. Das ändert indes nichts daran,
dass Annette Schavan mit diesem Promotionsvorhaben ge-
scheitert ist und keine eigenständige wissenschaftliche Arbeit
vorgelegt hat. Die Prüfungsordnung ließ diesen Weg zu. Die
Verantwortung für die Entscheidung über den Ausbildungs-
gang und sein Scheitern trägt am Ende allein die volljährige
Annette Schavan. Der Fehler des Doktorvaters oder auch der
Systemfehler fingiert kein Bestehen der Prüfung trotz unzu-
reichender Leistung.
Mit dem (gebotenen) Widerruf der Promotion hat es sich
dann aber auch. Ein überschießendes Sanktionsinteresse
ist nicht ansatzweise zu rechtfertigen – und letztlich Aus-
druck einer geifernd-gehässigen Gesinnung. Die nach Strafe
lechzt und nicht sehen kann, dass zu keiner Zeit ein Straf­
bedürfnis zu Lasten der jungen Doktorandin bestand und
jeder strafenden Sanktion (also nicht dem Promotionsentzug)
Zeitablauf und Verjährung entgegenstehen. Der Wähler sieht
da klarer als mancher Universitätsprofessor: Er hat Frau
Schavan mit einem soliden Direktmandat für den Bundes-
tag versehen.
Woher kommt die Exklusionslust?
Immerhin kann man versuchen, dem gefühlten Strafbedürf-
nis nachzugehen. Ich gestehe: Als Student habe auch ich
abgeschrieben – und so einen Schein erlangt. Ich bin sogar
einmal in höherem Semester für einen anderen in eine Klau-
sur gegangen; damals nannte man das »Schleppen«. Als
Assistent wusste ich gut, wie das geht und konnte die Schlepper
aus den Klausuren fischen. Fehlt mir heute (nach 32 Jahren)
die akademische Integrität? Darf ich noch Hochschullehrer
sein? Meine Privatumfrage ergibt: dies sei zu lang her. Das
ist es bei Frau Schavan aber auch: 34 Jahre sind seit 1980
vergangen. Sie war zum Zeitpunkt ihres integritätsgefähr-
denden Deliktes 25 Jahre alt. Das Plagiieren ist zwar mehr
als eine bloße Jugendsünde – gleichwohl sind die Maßstäbe
verrutscht: Daniel Cohn-Bendit hat der Pädophilie ein Lob-
lied gesungen, damit womöglich das Missbrauchs-Klima
an der Odenwaldschule mitgeprägt. Er erfährt Solidarität
durch einen grünen Ministerpräsidenten und büßt für seine
lang zurückliegende Integritätsstörung nur den Präsidenten
des Bundesverfassungsgerichts als Laudator ein. Amtsver-
zicht oder Berufsverbote werden ihm nicht abverlangt. Sein
oben
Annette Schavan, hier noch Bundesbildungsministerin, im Jahr 2012.
©
picture alliance dpa
1...,29,30,31,32,33,34,35,36,37,38 40,41,42,43,44,45,46,47,48,49,...52
Powered by FlippingBook