Schulbezogene Ängste
Angst ist ein Gefühl, das vor wirklichen Gefahren warnt und schützt: Ich habe Angst vor Gewittern. Auf freiem Feld suche ich Schutz. Angst kann in gefährlichen Situationen sehr nützlich und sogar lebensrettend sein.
Angst kann auch entstehen, wenn eine alltägliche Situation als gefährlich eingeschätzt wird: Ich benutze nicht die Straßenbahn. Es könnte ein Unfall geschehen. Angst kann unangemessen sein und die Lebensweise beinträchtigen.
Angst äußert sich im Denken, Verhalten, Körper und Fühlen eines Menschen. Angst kann unterschiedlich schnell ausgelöst und unterschiedlich intensiv erlebt werden. Angst kann von der Situation abhängig sein: Die Abschlussprüfung entscheidet über meinen weiteren Lebensweg. Angst kann gelernt sein: Meine Schwester hat immer Angst vor Referaten und ich neuerdings auch. Die Neigung, ängstlicher zu reagieren als andere, kann erblich veranlagt sein: Ich bin Neuem gegenüber immer sehr vorsichtig.
Angst ist im Kindes- und Jugendalter nichts Ungewöhnliches. Allerdings ist bei jedem zehnten Kind bzw. Jugendlichen das Leben durch Ängste so beeinträchtigt, dass Beratung und Therapie angezeigt sind.
Auf den Lebensraum Schule bezogen können je nach Auslöser und Erscheinungsform drei Arten von Angst unterschieden werden:
Prüfungsangst verstehen und behandeln
Prüfungsangst (allg. Leistungsangst) kann das Leistungsvermögen eines Schülers je nach der Stärke der Prüfungsangst mehr oder weniger beeinträchtigen. Im Extremfall kann es zu einem Black-out kommen, in dem Denkvorgänge völlig blockiert sind.
Denn Prüfungsangst wirkt auf:
die Gedanken –Ich verstehe das einfach nicht. Das wird sicher wieder eine Fünf.
das Verhalten– Ich melde mich morgen krank. Ich gebe auf.
den Körper–Ich habe Bauchschmerzen. Mein Herz klopft. Mein Mund wird trocken.
die Gefühle–Mir graut vor morgen. Ich gerate in Panik.
Wodurch kann Prüfungsangst ausgelöst bzw. verstärkt werden?
Bedingungen im Kind bzw. Jugendlichen selbst: Mangelhaftes Lernen, ungünstige Lern- und Arbeitstechniken, Überforderung, Motivationsprobleme (z. B. in der Pubertät) können eine Rolle spielen. Mädchen reagieren weit häufiger als Jungen mit Prüfungsangst. Allerdings kann es sein, dass Jungen ihre Angstsymptome nicht als Ängste bezeichnen würden.
Bedingungen in der Familie: Überzogene Leistungserwartungen von Familienangehörigen (Es muss eine bestimmte Note, ein bestimmter Abschluss, das Abitur sein!) können zu Ängsten führen. Eltern oder Geschwister können ein Modell für Ängste sein. Familiäre Konflikt- oder Krisensituationen (z. B. Scheidung, Todesfälle, Krankheiten in der Familie) können belastend und Angst fördernd sein.
Bedingungen in der Schule: Bei Mitschülern kann Häme als Reaktion entweder auf schlechte Noten („Du Dummkopf“) oder auf gute Noten („Du Streber“) Ängste fördern. Lehrkräfte können zu hohe Erwartungen ausdrücken, Zeitdruck erzeugen, unklare Prüfungsanforderungen stellen, verunsichernde oder abwertende Bemerkungen machen.
Was kann man tun?
Der erste Schritt ist immer eine klare Diagnose. Diese kann vom zuständigen Schulpsychologen oder von außerschulischen Fachkräften (z. B. Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche) erstellt werden, wobei Beratungslehrkräfte und Lehrkräfte ergänzend hilfreich einbezogen werden können.
Dann können je nach Ursache, Schweregrad und Leidensdruck können verschiedene Maßnahmen ergriffen werden:
- Bei ungünstigem Lernverhalten kann Kompetenzaufbau (z. B. bzgl. Lern- und Arbeitstechniken, Prüfungsvorbereitung) helfen. Nachhilfe in einem begrenzten Zeitraum kann Ängste reduzieren und wieder zu angemessenen Leistungen führen.
- Wie man Prüfungen gut managt, kann gelernt werden (z. B. durch gezielte Vorbereitung mit realistischen Lernplänen, Visualisierung der Prüfungssituation, überlegtes Vorgehen, Anti-Black-out-Strategien).
- Bei (zu) hohen Erwartungen können Schüler, Eltern und Lehrkräften unterstützt werden, ein realistisches Anspruchsniveau zu entwickeln.
- Entspannungstechniken können erlernt, eingeübt und in Prüfungssituationen angewandt werden.
- Gegenseitig stützendes Verhalten zwischen Mitschülern und Lehrern kann gefördert werden.
- Das Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl kann durch positive außerunterrichtliche und außerschulische Erfahrungen, durch das Wiederentdecken eigener Stärken und Talente gestärkt werden.
- Bei Überforderung kann eine geeignete Schullaufbahn gesucht werden.
Diejenigen, die die Diagnose erstellen, können entweder selbst beim Überwinden von Prüfungsängsten helfen oder auf andere Fachkräfte verweisen.
Schulangst verstehen und behandeln
Bei Schulangst wird die Angst durch bedrohlich empfundene bzw. bedrohlich erlebte Situationen in der Schule ausgelöst. Die Vielzahl negativer unbewältigter Erfahrungen (z.B. Beschämung, Beschimpfung, Ausgrenzung bis hin zu Mobbing) kann sich zu einer generellen Angst vor der Schule verdichten. Eltern, Lehrkräfte und Mitschüler können durch ihr Verhalten die Entwicklung einer Schulangst begünstigen.
Schulangst wirkt auf:
die Gedanken –Ich will da nicht mehr hingehen! Mich vermisst eh keiner.
das Verhalten– Ich spreche mit niemandem darüber. Ich schwänze den Unterricht.
den Körper–Ich habe Bauchschmerzen. Mein Herz pocht. Ich habe Kopfschmerzen.
die Gefühle–Ich schäme mich. Ich fühle mich bedroht. Ich bin allein.
Wodurch kann Schulangst ausgelöst bzw. verstärkt werden?
Bedingungen in der Schule: Bei Mitschülern können abwertende Bemerkungen z. B. über die Figur, die Kleidung, das Verhalten oder die Schulleistungen dazu führen, dass sich Schüler nicht wert-geschätzt und sogar ausgegrenzt fühlen: Dich wollen wir in der Gruppenarbeit nicht dabei haben. Lehrkräfte können verunsichernde oder abwertende Bemerkungen machen. Neue Situationen können überfordern und Angst machen: Ich finde mich in dem großen Schulgebäude nicht zurecht.
Bedingungen in der Familie: Erwartungen (Mein Kind soll es einmal besser haben. Mit dem Abitur stehen dir doch alle Wege offen!) können Druck auslösen. Eltern können ein Modell für Ängste sein. Wenn Eltern ihre eigene Schullaufbahn überwiegend mit Angst und Misserfolg in Verbindung bringen, können diese Erinnerungen an die eigenen Kinder weitergegeben werden.
Bedingungen im Kind bzw. Jugendlichen selbst: Veranlagungen des Kinde bzw. des Jugendlichen, zum Beispiel eher zurückhaltend zu sein, sich nicht zu trauen, auf andere Kinder zuzugehen oder sich manchmal ungeschickt im sozialen Kontakt zu verhalten, können eine Rolle spielen. Die erlernte oder bereits angelegte Verhaltensweise, stärker in sich hinein zu hören und/oder empfindsamer auf Reaktionen der Außenwelt zu reagieren als andere Kinder und Jugendliche, kann die Entwicklung einer Angst vor der Schule begünstigen.
Was kann man tun?
Der erste Schritt ist immer eine klare Diagnose. Diese kann vom zuständigen Schulpsychologen oder von außerschulischen Fachkräften (z. B. Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche) erstellt werden, wobei Beratungslehrkräfte und Lehrkräfte ergänzend hilfreich einbezogen werden können.
Dann können je nach Ursache, Schweregrad und Leidensdruck verschiedene Maßnahmen ergriffen werden:
- Gegenseitig stützendes Verhalten zwischen Mitschülern und Lehrern kann gefördert werden durch eingeführte, regelmäßige Klassengespräche („Zeit für uns“), gemeinsame Unternehmungen, Klassenfahrten.
- Soziales Miteinander in der Klasse kann gefördert werden durch ein umsichtiges Reagieren der Lehrkräfte und Mitschüler, wenn sie Ausgrenzungen Einzelner beobachten.
- Schülern kann ermöglicht werden, über Sorgen und Nöte mit verschiedenen schulischen Ansprechpartnern zu sprechen: Klassenlehrkraft, Verbindungslehrkraft („Vertrauenslehrer“), Stufenbetreuer, Schüler- oder Lehrermentoren, Schulpsychologin bzw. Schulpsychologe, Beratungslehrkraft, Schulsozialpädagogin bzw. Schulsozialpädagoge.
- Maßnahmen gegen Mobbing können an den Schulen von speziell fortgebildeten Lehrkräften durchgeführt werden. Schulen können eine Null-Toleranz-Politik, was Mobbing und Ausgrenzung anbelangt, in ihre Schulverfassung aufnehmen und leben.
- Das Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl kann durch positive außerunterrichtliche und außerschulische Erfahrungen, durch das Wiederentdecken eigener Stärken und Talente gestärkt werden. In Vereinen kann das soziale Miteinander spielerisch erprobt werden.
Diejenigen, die die Diagnose erstellen, können entweder selbst beim Überwinden von Schulängsten helfen oder auf andere Fachkräfte verweisen. Bei lang überdauernden und stark ausgeprägten Schulängsten kann eine längerfristige Begleitung durch Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche notwendig sein.
Schulphobie verstehen und behandeln
Im Gegensatz zur Schulangst liegen die Gründe bei der Schulphobie nicht primär in der Schule, sondern es liegt eine Trennungsangst zugrunde. Unter Trennungsangst wird sowohl eine für ein bestimmtes Alter typische Entwicklungsphase (z.B. die sog. Achtmonatsangst) als auch ein abweichendes Verhalten eines Kindes ab dem Vorschulalter verstanden.
Werden Entwicklungsaufgaben wie zunehmende emotionale Unabhängigkeit und Ablösung von den Eltern, Aufbau von Freundschaften und Partnerschaften sowie Übernahme von Eigenverantwortung und Selbstständigkeit nicht bewältigt, so bleibt möglicherweise die frühe Trennungsangst erhalten. In allen Schwellensituationen (z.B. Kindergarten, Einschulung, Schulwechsel und mit Beginn der Pubertät) können Trennungsängste wieder aufleben.
Schulphobie wirkt auf:
die Gedanken –Ich gehe lieber nicht weg. Wer weiß, was dann daheim passiert!
das Verhalten– Ich gehe nicht in die Schule. Ich wehre mich mit allen Mitteln dagegen.
den Körper–Ich habe Bauchschmerzen. Mir ist schwindelig.
die Gefühle–Ich bin um meine Mutter besorgt, sie braucht mich.
Wodurch kann Schulphobie ausgelöst bzw. verstärkt werden?
Bedingungen im Kind bzw. Jugendlichen selbst: Die bereits angelegte Verhaltensweise, stärker in sich hinein zu hören und/oder empfindsamer auf Bedingungen der Außenwelt zu reagieren als andere Kinder und Jugendliche, kann die Entwicklung einer Schulphobie begünstigen. Über das Kranksein bekommen Kinder bzw. Jugendliche nicht selten mehr Zuwendung, so dass es vorkommen kann, dass an der Schulphobie unbewusst festgehalten wird.
Bedingungen in der Familie: Eltern können für ihr Kind ein Modell sein, wenn sie selbst von unbewältigten Angst- und Trennungserfahrungen beeinträchtigt sind. Familiäre Konflikt- oder Krisensituationen (z. B. Scheidung, Todesfälle, Krankheiten in der Familie) können belastend sein und dazu beitragen, dass sich eine angstbesetzte Sorge um die Familie auf die Schule überträgt.
Bedingungen in der Schule: Bei Mitschülern können abwertende Bemerkungen über das Verhalten (Muttersöhnchen, Mamakind) dazu führen, dass sich Schüler nicht zugehörig fühlen. Sorgen und Ängste, die Schüler mit sich herumtragen, werden vor der Schule verborgen oder können in der Schule übersehen werden.
Was kann man tun?
Der erste Schritt ist immer eine klare Diagnose. Diese kann vom zuständigen Schulpsychologen begleitet und von außerschulischen Fachkräften (z. B. Fachärzte für Kinder- Jugendlichen-Psychiatrie, Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche) erstellt werden, wobei Lehrkräfte und Beratungslehrkräfte ergänzend hilfreich sind.
Dann können je nach Ursache, Schweregrad und Leidensdruck verschiedene Maßnahmen ergriffen werden:
- Begleitende (Verhaltens-) Therapie sollte durch Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche begonnen werden. Diese kooperieren im günstigsten Falle mit der Schule, sodass Vereinbarungen getroffen werden können, um das Kind auch schulisch zu unterstützen.
- Ältere Kinder und Jugendliche sollten in ihrer Autonomieentwicklung unterstützt werden. Sie sind in der Regel den schulischen Anforderungen gewachsen, nicht jedoch den sozialen Herausforderungen, die Schule und Schulklasse mit sich bringen. Sie benötigen Unterstützung darin, sich abzugrenzen und auch gegen andere Kinder durchzusetzen.
- Eltern brauchen Unterstützung, da die in der Schule ängstlich wirkenden Kinder zu Hause sehr wütend und fordernd werden können, wenn Eltern versuchen, den Schulbesuch zu erzwingen. Diese Unterstützung können Erziehungsberatungsstellen, Therapeuten ggf. auch Schulsozialpädagogen bzw. Schulsozialarbeiter leisten.
- Lehrkräfte informieren sich z. B. im Rahmen von Fortbildungen, um den Unterschied zwischen Schulangst (primär ausgelöst durch die Schule) und Schulphobie (primär ausgelöst durch eine Trennungsangst von der Familie, die auf die Schule übertragen wird) zu erkennen und entsprechendes Fachpersonal ansprechen zu können.
- Für alle Beteiligten ist entlastend, wenn ihnen für die entstandene Situation keine Schuld zugewiesen wird.
Diejenigen, die die Diagnose erstellen, können entweder selbst beim Überwinden der Schulphobie helfen oder auf andere Fachkräfte verweisen. Bei lang überdauernder und stark ausgeprägter Schulphobie kann ein Aufenthalt in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder in einer psychosomatischen Klinik, die Ängste von Kindern und Jugendlichen behandelt, notwendig sein.