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aviso 1 | 2015

DIGITALE WELTEN

BAYERNS VERBORGENE SCHÄTZE

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Dr. Christiane Schachtner

studierte an der Akademie der

Bildenden Künste und an der Ludwig-Maximilians-Universität

München, promovierte über die Reiseskizzenbücher Johann

Georg Dillis’ und ist seit 2014 als wissenschaftliche Volontärin

an der Staatlichen Graphischen Sammlung München tätig.

Zum Weiterlesen

Schachtner, Christiane: ›Tag und Nacht reisefertig…‹

Die Reiseskizzenbücher des Münchner Künstlers und Galerie-

direktors Johann Georg von Dillis (1759–1841). Ästhetische

und epistemische Prozesse des Zeichnens und Schreibens auf

Reisen, Sankt Ottilien 2014.

Die Faszination dieser Reiseskizzenbücher liegt in der großen

Unmittelbarkeit, in der diese auf vielfältige Weise die ideelle

und geografische Dimension des Unterwegsseins, die Begeg-

nung und Auseinandersetzung mit Unbekanntem und die

Entwicklung neuer Ideen bewahren. In Dillis’ Aufzeichnun-

gen treffen die Erwartung des Reisenden auf das tatsächlich

vor Ort Vorgefundene, flüchtige Kritzeleien auf konzentriert

Ausgearbeitetes, die Gleichzeitigkeit des Sehens, Schreibens

und Zeichnens auf die Nachträglichkeit späterer Reflexion und

Überarbeitung. Dillis begriff seine Skizzenbücher nicht nur als

Speicher, umGesehenes und Erfahrenes zu strukturieren und

zu dokumentieren, sondern nutzte diesen ganz privaten, vor

Erwartungen und Konventionen seitens fremder Betrachter

und Auftraggeber geschützten Raum auch zum Experimen-

tieren und Erproben von Neuem.

DILLIS’ AUFZEICHNUNGEN

dokumentieren einerseits seine

intensive Auseinandersetzung mit konzeptionellen und prakti-

schen Themen des Museumswesens sowie mit der Konservie-

links

und Mitte

Johann Georg Dillis (1759-1841), Reiseskizzenbuch

1817/18, Auf dem Schiff während der Überfahrt nach Sizilien

im Dezember 1817, Staatliche Graphische Sammlung München,

Inv. Nr. 1919:132a.

rechts

Johann Georg Dillis (1759-1841), Reiseskizzenbuch 1817/18,

Kronprinz Ludwig auf der Altane im Giardino di Malta, Rom,

Staatliche Graphische Sammlung München, Inv. Nr. 1919:132a.

rung und Restaurierung von Kunstobjekten. So notierte er mit

großem Interesse seine Beobachtungen und Erfahrungen in

internationalenMuseen und Galerien, beispielsweise inWien,

Rom und Paris. Das auf Reisen erarbeitete Wissen sowie der

Austausch mit internationalen Künstler- und Museumskol-

legen prägten sein Wirken an den Münchner Sammlungen

nachhaltig. Zum anderen lassen viele der Zeichnungen, die

auf Reisen entstanden, auch sehr unmittelbar die besonderen

Bedingungen des künstlerischen Arbeitens unterwegs erken-

nen. Landschaftsskizzen sind oft durch extreme Flüchtigkeit

gekennzeichnet, da in der zeichnerischen Dokumentation der

rasch aufeinander folgenden Eindrücke höchste Eile gebo­

ten war. Dillis zeichnete unermüdlich, sogar in der eigenen

Bewegung durch den Raum, in der Sänfte sitzend oder wäh-

rend des Reitens auf dem Maultier durch das unwegsame

Gelände des im frühen 19. Jahrhundert noch wenig erschlos-

senen Sizilien. Solche Zeichnungen geben unmittelbar die bei

ihrer Entstehung erfahrenen Erschütterungen wider. Wie ein

Seismograph dokumentieren die graphischen Linien die Stöße

durch den Gang des Tieres auf unebenem Gelände.

EINE HÖCHST KONZENTRIERTE

Sequenz an Zeichnungen

entstand während des gänzlich unfreiwilligen, mehrtägigen

Aufenthaltes auf dem Schiff bei der Überfahrt von Neapel

nach Palermo imHerbst 1817. Die zu dieser Zeit gewöhnlich in

18 Stunden zu bewältigende Schiffspassage dehnte sich auf-

grund ungünstiger Windverhältnisse auf ganze fünf Tage aus

und zwang die Reisegesellschaft des Kronprinzen Ludwig zu

einer – durch Seekrankheit erschwerten – Unterbrechung der

Tour. Dillis jedoch begegnete der Langeweile mit ungebroche-

nem Eifer und füllte in diesen Tagen einen Großteil des 120

Blatt umfassenden Büchleins, das sich heute in der Staatli-

chen Graphischen Sammlung München befindet, mit Beob-

achtungen an Bord: sich gegenseitige lausende Schiffsjungen

finden sich ebenso wie untereinander ins Gespräch vertiefte,

essende, sinnende, schlafende und zuweilen auch arbeitende

Matrosen, der Kapitän des Schiffs sowie die Reisegefährten.

Alles hat sich in großer Lebendigkeit in den Büchern erhalten

und bildet ein vielschichtiges Dokument des Interesses und

der Aufgeschlossenheit Dillis’ wie der Wahrnehmung und

Erfahrung auf Reisen zu Zeiten der Epochenwende um 1800.

Fotos: Staatliche Graphische Sammlung München