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aviso 1 | 2015

DIGITALE WELTEN

COLLOQUIUM

|16|

IM OKTOBER 2014

sind die Krautreporter

(krautreporter.de

)

mit ihrer Website an den Start gegangen, aufmerksam beob-

achtet von weiten Teilen der Medienbranche. Denn die rund

dreißig Krautreporter, darunter viele bekannte Namen, wol-

len neue Wege im Internetjournalismus gehen. Sie wollen

zeigen, wie Qualität in der Netzwelt aussehen und funktio-

nieren kann. Einerseits bietet das Internet fantastische Mög-

lichkeiten: Multimedialität, Partizipation, Interaktion, schier

endloser Speicherplatz und hohe Aktualität sind nur einige

Stichworte dafür. Andererseits hat der Journalismus dieses

technische Potenzial bisher noch kaum ausgeschöpft. Dafür

spielen ökonomische Faktoren eine Rolle: Unter den Inter-

netnutzern ist nach wie vor die Gratismentalität weit verbrei-

tet. Gerade bei journalistischen Informationen ist die Zah-

lungsbereitschaft gering. Und auch die Werbeerlöse blieben

hinter den Erwartungen zurück.

Der Name »Krautreporter« ist einWortspiel – das verdeutschte

»Crowd« steht für die Finanzierung und Unterstützung durch

eine Leser-Community. Gesucht werden Mitglieder, die sich

länger binden und mit einem Jahresbeitrag von 60 Euro

das Projekt fördern wollen. Im Gegenzug sind die Seiten

werbefrei, bieten also einen ungestörten Lesegenuss. Auch

die Jagd nach »Klicks« und der Einfluss von Werbekunden

wird so ausgeschlossen. Noch gibt es allerdings wenige erfolg-

reiche Crowdfunding-Projekte. Eines davon ist die nieder-

ländische Website De Correspondent

(decorrespondent.nl)

,

die seit September 2013 online ist. Auch sie setzt auf Quali-

tät – durch investigative Recherche, vertiefende Analyse und

Themen, die von den Mainstream-Medien vernachlässigt

werden.

NEBEN DEM QUALITÄTSANSPRUCH

und der Direktfinan-

zierung durch eine Leser-Community kommt bei den

Krautreportern ein Drittes hinzu: In vielen Redaktionen

fehlt so etwas wie eine Lernkultur. Selten wird mit den neuen

digitalen Optionen systematisch experimentiert. Mangels

Konkurrenz hat sich der Journalismus viele Jahrzehnte lang

kaum weiterentwickeln müssen. Dies gilt vor allem für die

Tageszeitungen, die oft über ein lokales Monopol verfügen.

Seit dem Einbrechen der Werbeerlöse im Jahr 2002 hat

sich die Lage gründlich geändert. Die Krise hat die Branche

durcheinandergewirbelt, viele Gewissheiten in Frage gestellt

und den Reformdruck erhöht, wobei deutsche Journalisten

im internationalen Vergleich im Umgang mit dem Internet

als zögerlich und defensiv gelten.

Beschleunigung statt Tiefe

Bisher hat der Journalismus das Internet vor allem zur

Beschleunigung der Nachrichtenverbreitung eingesetzt. Kurz-

meldungen, die meist von Agenturen stammen, sind zwar billig,

führen aber auch zur Verknappung und zu mehr Oberfläch-

lichkeit. Daneben wurde vernachlässigt, dass das Internet

auch für analytische und erzählende Beiträge bessere Vor-

aussetzungen bietet als die klassischen Medien. Lange Texte

erfordern jedoch eine gründliche Recherche und einen großen

Aufwand bei der Gestaltung. In vielen Redaktionen, in denen

gespart werden muss, fehlt dafür der Spielraum.

MITDERWEBREPORTAGE

»Snowfall«übereinenSchneesturm

in den Rocky Mountains hat die New York Times im Jahr 2012

Maßstäbe gesetzt und viele Nachahmer gefunden. Mittlerweile

experimentieren auch deutschsprachige Redaktionen wie

die Rhein-Zeitung

(rz-online.de

), Zeit Online

(zeit.de

),

Spiegel Online

(spiegel.de

) und Arte

(arte.tv

) mit Webrepor-

tagen. Dafür muss aber auch ein Publikum gefunden werden,

das solche Angebote schätzt. Und die Redaktionen müssen

lernen, wie die User mit den umfangreichen, multimedial

und non-linear gestalteten Texten umgehen. Dafür ist der

permanente Austausch mit den eigenen Lesern ein Vorteil,

wie ihn die Krautreporter mit den rund 19000 zahlenden

Unterstützern haben, die sogar einzelne Absätze in Texten

kommentieren können.

Krautreporter

oder Klickstrecken?

WIE DER JOURNALISMUS SEINEN WEG INS INTERNET

UND AUS DER KRISE FINDET

Text:

Christoph Neuberger