LZ - Jahresbericht 2014 - page 3

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Liebe Leserin, lieber Leser,
in dem kleinen Dörfchen, in dem ich wohne, ist dieWelt noch in Ord-
nung. Die Kirche ist am Sonntag voll, es gibt Feste und Feiern zu al-
len Jahreszeiten, ein überaus reges Vereinsleben, eine gesunde Land-
wirtschaft und wohlsituierte Handwerksbetriebe. Das Ganze liegt
inmitten eines weiten, waldgesäumten Landschaftsschutzgebiets.
Keine rechts- oder linksradikalen Ausschreitungen, keine radika-
len Islamprediger, keine Fremdenfeindlichkeit. Eine heile Welt, wie
gesagt, könnte man meinen. Aber was bliebe davon, wenn plötz-
lich inmitten des Dorfes hundert Asylsuchende einquartiert wer-
den müssten? Wenn nicht mehr nur die Kirchenglocken läuteten,
sondern von der Spitze des Minaretts einer Moschee die Stimme
des Muezzin herunterschallte? Wenn ein Anschlag die Dorfgemein-
schaft erschütterte? Wenn der Konkurs Griechenlands den Euro
wanken ließe? Wenn in China die Wirtschaft zusammenbräche?
Sehr schnell wäre die vermeintliche heile Welt dahin und mein Dorf
müsste sich großen Belastungsproben unterziehen.
Elektronische Revolution und Globalisierung der Wirtschaft, das Auseinanderbrechen der alten
Machtblöcke, die Öffnung der Grenzen, das alles hat gleichermaßen große Fortschritte wie enorme Pro-
bleme mit sich gebracht – vor allem aber: geschlossene Räume gibt es nicht mehr, die Welt ist überall,
nicht nur per Internet. Für unsere Gesellschaft, die Gesellschaft eines demokratischen Gemeinwesens,
ist es deswegen von großer Bedeutung, dass die Menschen, die in der komplexen, allgegenwärtigen
Welt leben, möglichst viel wissen über diese Welt, über die wirtschaftlichen und sozialen Zusammen-
hänge, und den politischen Prozess im eigenen Land und darüber hinaus. Das Wissen benötigen sie,
damit sie teilhaben und mitwirken können an der Gestaltung des politischen Prozesses. In einer Diktatur
ist eigenständige, gestaltende, womöglich gar kritische Mitwirkung nicht gefragt, sondern unerwünscht.
Ein demokratischer Rechtsstaat braucht sie, um bestehen zu können: Bürgerinnen und Bürger, die zur
Wahl gehen, die sich zivilgesellschaftlich engagieren, die sich stark machen für das, was gut und sich
empören über das, was schlecht ist.
Die Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit versteht sich in diesem Sinn als eine
Institution, die Wissen vermittelt und dadurch Teilhabe fördert. Über die Bereiche, in denen sie dieser
Aufgabe der Vermittlung und Förderung in vielfältiger Weise nachkommt, gibt der vorliegende Jahres-
bericht Auskunft. Die Aktivitäten der Landeszentrale wenden sich an Erwachsene, an Jugendliche und
Kinder. Sie möchte Wissen und Einsicht vermitteln – allen Bürgerinnen und Bürgern und auch solchen,
die es werden wollen, unabhängig von ihrer Religion, ihrer Weltanschauung, ihrer Bildung und ihrer
sozialen Herkunft. Sie möchte mit ihremAngebot zu der Erkenntnis beitragen, dass der demokratische,
freiheitliche Rechtsstaat den Einsatz jedes Einzelnen nicht nur lohnt, sondern zu seinem Funktionieren
dringend braucht. Das gilt auch für das kleine Dorf, in dem ich lebe, und nicht nur für den Fall, dass die
heile Welt einmal in Frage gestellt wird.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Bild: Monika Franz
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