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Historische Darstellungen in Computerspielen

Einsichten und Perspektiven 4 | 15

bis zur Reaktion auf die Herausforderungen der Spielwelt

reichen, ist ganz wesentlich für den Spielverlauf, die darin

entstehenden Bilder und die Ausgestaltung des Regelsys-

tems. Mit Blick auf den nächsten Abschnitt ist in diesem

Zusammenhang die Frage wichtig, ob diese Spielerhand-

lungen sich auf die zu erzeugenden Bildwelten oder auf

die Spielregeln hin orientieren, ob der Spieler sich mehr

als Hervorbringer einer Geschichte oder als Handelnder

in einem Regelsystem versteht. Die Antwort ist freilich

kein reines Entweder/Oder, sie ist sowohl vom Werk als

auch vom Spieler abhängig, der Aspekt des Ludischen darf

aber bei einer Analyse nicht außer acht gelassen werden.

Computerspiele und Gewalt

Eine der Fragen, die von außen regelmäßig an das Medium

herangetragen werden, ist die nach der Gewaltdarstellung.

Warum sind so viele Computerspiele so gewalthaltig? Die

Beantwortung dieser Frage fällt in den verschiedenen Berei-

chen des im ersten Abschnitts vorgestellten Analyseschemas

ganz unterschiedlich aus.

Historisch gesehen sind viele Spiele simulierte Konflikte,

von den Sportwettbewerben seit der Antike, über Brett- und

Kartenspiele, in denen der Sieg einer Partei mit der Nieder-

lage der übrigen Spieler verbunden ist, bis zu Geländespielen

wie Cowboy und Indianer, Räuber und Gendarm, Verste-

cken oder Fangen. Als Regelsystem haben alle diese Spiele

eine gewalthaltige Komponente, die allerdings abstrakt

oder symbolisiert ist. Bei Schach, Dame oder Mühle gehört

das Schlagen gegnerischer Figuren zu den Kernregeln, das

Opfern der eigenen Spielsteine gilt als Ausdruck gehobener

Strategie. Bei Skat, Doppelkopf oder Bridge werden die geg-

nerischen Karten „gestochen“, ein Wort, das seine Herkunft

im Lanzenstechen der Ritterturniere hat. Der Kulturhisto-

riker Johan Huizinga basiert in seinem Buch „

homo ludens

seine Kulturgeschichte auf der prägenden Kraft konkur-

renzbehafteter Spiele – Krieg, Rechtssystem, Wissenschaft,

Philosophie und Kunst sind demnach aus Wettbewerben

hervorgegangen und tragen dessen Wurzeln noch heute in

ihren kulturellen und sozialen Praktiken. 

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Computerspiele stehen in der Traditionslinie der analo-

gen Spiele, viele frühe Titel sind ausdrücklich Adaptionen

von Sport-, Schieß- und Wettkampfspielen. Dabei visua-

lisieren sie die Handlungsoptionen dieser Spiele in immer

detaillierteren Bildern, ohne deren ludischen Zweck zu

verändern: das Entfernen einer gegnerischen Spielfigur

aus der Spielwelt. Die zunehmende Drastik der audiovisu-

ellen Präsentation folgt dabei der medialen Überbietungs-

logik der Populärkultur, wonach jedes Werk seinen Vor-

gänger in zentralen Merkmalen zu übertreffen hat. Dazu

zählen Tabubrüche im Reality-TV, die Anzahl der visuel-

len Effekte in Blockbustern, die Produktions- und Mar-

ketingbudgets sowie die Darstellung von Gewalt in Kri-

mis, Psychothrillern, Actionfilmen oder Historiendramas.

Jeder Blockbuster erhöht die Schwelle dessen, was dem

Zuschauer als gerade noch zumutbar gilt. Computerspiele

sind hier keine Ausnahme, weil sie als Wirtschaftspro-

dukte den gleichen Marktmechanismen von Angebot und

Nachfrage gehorchen wie die gesamte Medienindustrie:

Das Publikum will explizitere Gewalt als im vergangenen

Jahr, also wird mehr Gewalt geboten, in Nahaufnahme,

Zeitlupe und stereoskopischem 3D.

Dieser menschliche Wunsch nach Gewalt, die aus

sicherer Entfernung und zur eigenen Unterhaltung rezi-

piert wird, ist ebenfalls tief in der Kulturgeschichte ver-

ankert. Homers Ilias, Shakespeares Dramen oder Grimms

Märchen sind voller impliziter, aber vor allem auch expli-

ziter Gewalt und dennoch oder vielleicht sogar gerade

deswegen unsterbliche Klassiker, weil sie die Themen des

Lebens zeitlos aufgreifen und publikumsnah darstellen.

„Unterhaltung formuliert – so läßt sich vielleicht pointiert

sagen – Sinn, dessen Bedeutung fraglich bleibt, während

im Kunsterlebnis etwas fraglos Bedeutendes rezipiert wird,

dessen Sinn fragwürdig bleibt.“ 

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Wie so viele Unterhal-

4 Johan Huizinga: Homo Ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek

bei Hamburg (1939) 2004.

5 Hans-Otto Hügel: Ästhetische Zweideutigkeit der Unterhaltung. Eine Skizze

ihrer Theorie, vgl.

http://www.montage-av.de/pdf/02_01_1993/02_01_1993_

Hans_Otto_Huegel_Aesthetische_Zweideutigkeit_der_Unterhaltung.pdf

[Stand: 27.11.2015].

Screenshot aus dem Spiel „Lord of the Rings: Campaign”

Bild: Electronic Arts GmbH