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„Sie hatten die Schnauze voll von diesem toten, öden Land …“
Einsichten und Perspektiven 4 | 15
tik geredet, damit sie nichts in der Schule erzählten, nach
dem Motto: „Moment mal, mein Vater hat was ganz an-
deres gesagt.“
Als ich im elften Schuljahr war, wollte ich mit meiner
Freundin Ute die Sowjetunion selbst kennenlernen. Uns
interessierte, wie die Jugendlichen dort lebten. Also ha-
ben wir ein Konzept für eine einjährige Arbeitsreise in
die Sowjetunion entwickelt und sind damit zur FDJ ge-
gangen, die sich ja immer vor lauter deutsch-sowjetischer
Freundschaft überschlug. Das hat uns viel Ärger einge-
bracht. Ein Verantwortlicher schnauzte uns an: „Wer in
die Sowjetunion fährt, das bestimmen wir! Und über
euch haben wir uns erkundigt. Ihr habt überhaupt keine
Vorbildfunktion. Ihr seid bloß zu faul zum Arbeiten.“
An solchen Dingen merkte man, dass die Freundschaft
eine große Lüge und nicht wirklich erwünscht war. Un-
sere Klassenkameraden hatten uns bereit gefragt, ob wir
bescheuert seien, ob sie uns schon mal einen Gulag aus-
suchen sollten.
Landeszentrale:
Die Existenz von Gulags war Ihnen also klar.
Klier:
Es wurde dort und da heimlich erwähnt. Die wirk-
liche Dimension der Gulag-Verbrechen ist allerdings erst
viel später ans Licht gekommen.
Landeszentrale:
Sie waren elf, als die Mauer gebaut wurde.
Wann haben Sie ein kritisches Denken gegenüber der DDR
entwickelt?
Klier:
Ich kam mit meinem Bruder im Alter von drei
und vier Jahren (1953) in ein Heim, weil mein Vater aus
politischen Gründen ein Jahr inhaftiert worden war. Er
war im Februar 1953 mit meiner Mutter Straßenbahn
gefahren, junge Leute Anfang 20. Sie standen beide auf
dem Trittbrett; ein anderer junger Mann kam an, zerrte
meine Mutter herunter und stieg selbst auf. Daraufhin
kam es zu einem Handgemenge zwischen meinem Vater
und diesem Mann, der auch vom Trittbrett flog. Er war
ein DDR-Polizist. Mein Vater wurde daraufhin in einem
Schnellverfahren – ohne Zeugen und ohne schriftliches
Freya Klier und Stefan Krawczyk bei einem Kirchenauftritt, 1986
Foto: SZ photo