aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 48-49

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aviso 2 | 2014
QUINTENSPRÜNGE
RESULTATE
aviso 2 | 2014
Quintensprünge
Resultate
Professor Dr. Manfred F. Fischer
ist Landeskonser-
vator i. R. und lebt in Bamberg.
gemieden; sie beschäftigen offenbar weniger den Spieltrieb
und die Fantasie. Liegt dies an der größeren zeitlichen Ent-
fernung? Oder an größerer Betroffenheit? Ist es die unter-
schiedliche Zerstörungskraft der beteiligtenWaffensysteme?
Fakt ist sicher, dass es die Uniformen sind, die faszinieren,
neben dem Reiz der fremd gewordenen Waffentechnik. Die
Dinge, die man sonst in Museen sieht, sind hier gleichsam
zumAnfassen aus der Vitrine geholt, also immodernen Sinne
zum Sprechen gebracht. Es ist eine Attraktivität, die schon
lange imMedium Film zur Erweiterung der Seherfahrungen
geführt hat. Immer wird beim »Reenactment« eine Art von
Gruppenerinnerung angesprochen, und zwar als Gegensatz
von gewesener und wirkender Geschichte, also als Frage der
persönlichen oder gesellschaftlichen Betroffenheit. Um diese
zu prüfen, könnte wohl die Lektüre der bekannten leben-
digen Schilderungen aus der Napoleon-Zeit in den Lebens­
erinnerungen von Ludwig Richter bzw. vonWilhelmKügelgen
hilfreich sein, die den Durchzug der Franzosen durch Dresden
1811 als buntes kriegerisches Schauspiel und deren jämmer-
lichen Rückzug 1813 als Zeugnis des Elends, schließlich das
schreckenerregende Kriegsgeschehen in der Stadt eindrücklich
schildern. Erinnert sei auch an das bekannte Kriegstagebuch
des aus Essing im Altmühltal stammenden, 1809 zum baye-
rischen Militär eingezogenen Soldaten Josef Deifl, der viele
napoleonische Feldzüge, aber auch denWechsel der Fronten
1813 mitgemacht hat, bis zur Schlacht bei Waterloo (s. dazu
den Artikel »Deroy und Deifl« von Egon Johannes Greipl in
men Aspekte sind aber meist tabu, ebenso wie mit wenigen
Ausnahmen die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts bis zur
DDR-Vergangenheit. Nicht nachgestellt werden daher aus
verständlichen Gründen Szenen zum Thema Solferino, Ver-
dun, den Kriegsorten in Flandern, zu Stalingrad oder Halbe.
Fast gänzlich ausgeblendet werden bei der Präsentation des
Kriegshandwerks auch die Folgen der Schlachten und Kämpfe
mit Verwundung und Tod.
Die andere Sicht
Historiker oder Psychologen können uns über die Gründe für
die Lust amKriegsspiel eine plausible Antwort geben. Daher
ist es legitim, dass diesem spielerisch naiven Umgang der
Gesellschaft mit Krieg undMilitär, dem klingenden Spiel und
den bunten Uniformen und Fahnen eine andere Wahrneh-
mung des Krieges gegenübergestellt wird. Man kann dieser
Faszination von Schlachtfeldern, die zur Real-Evokation rei-
zen, Gegenbilder entgegenhalten, die eine andere Botschaft
vermitteln. Als Gegenpol zu dem klassischen heroisierenden
Schlachtenbild nenne ich ein im kirchlichen, dörflichen Raume
verborgenes Bild, das in der Gattung des Kriegerehren­
gedächtnisses aus dem Rahmen des Üblichen fällt:
Nördlich von Bozen
auf der Höhe über dem Eisack,
am Fuße des Schlern, liegt das Dorf Völs. In der Vorhalle der
dortigen Kirche findet sich ein Wandgemälde, das Erinne-
rungsmal für die Gefallenen des Ortes im Ersten Weltkrieg.
Die Gemeinde hatte als Anbringungsort dieses Gedenkens die
Turmhalle der Kirche, inmitten des Friedhofs, festgelegt. Der
örtliche Pfarrer Karl Kasseroler beauftragte den bekannten
Maler Ignaz Stolz aus der berühmten Bozener Malerfamilie
Stolz mit der Gestaltung. Als das Bild 1921 enthüllt wurde,
erregte es Verstörung, da es von der allgemeinen Erwartung
der Bewohner so völlig abwich. Stilistisch deutlich unter dem
monumental-expressionistischen Einfluss eines Albin Egger-
Lienz, vermied es die sonst so häufige Helden- und Opfer­
rhetorik von Kriegerdenkmälern. Es zeigt vielmehr unter
einer Himmelsszene mit den Namen der Gefallenen eine weit
ausgreifende Darstellung des Kriegsgeschehens selbst. Ohne
jegliche Ästhetisierung ist ein Gesamtpanorama zu Land, zu
Wasser und in der Luft gezeigt. Maschinenhaft versehen die
gleich gestalteten anonymisierten Soldaten ihre Funktio-
nen. Hybrid wirkende Großgeräte verraten die Ratlosigkeit
des Künstlers angesichts unbekannter neuer Waffentechnik.
Hier kann nichts zu einer spielerischen Nachbildung reizen.
Ein real begehbares,
also auch haptisch
dreidimensional erlebbares Schlachtfeld von gro-
ßer Eindringlichkeit hat der Maler und Bildhauer
Alois Wünsche-Mitterecker (1903-1975) in fast
zwanzigjähriger Arbeit geschaffen und 1979 auf
offener Landschaft in einer Talsenke bei Eichstätt
installiert. Als abstraktes Mahnmal gegen alle
Kriege ohne konkreten historischen Bezug passt die
hier verteilte Ansammlung von 81 überlebensgro­
ßen in Steinguss geformten Figuren, an die Skulp-
turen Henry Moores erinnernd, zu den kargen
Trockenrasenflächen der umgebenden Juraland-
schaft. Man muss zwischen diesen eindrucksvoll
gruppierten, nur zu Teilen an menschliche Körper
erinnernden, laufenden, fallenden oder liegenden
Figuren umhergehen, um immer neue Bezüge zu
entdecken. Am eindrucksvollsten ist es im Mor-
gennebel, wenn stets nur Teile des Figurenfeldes
vor Augen treten. Dieses Erleben ist ein Echo auf
das klingende Spiel der bunten Historientheater.
oben
Unter großem Publikumszuspruch wurde anlässlich
des 200-jährigen Jubiläums der Völkerschlacht bei Leipzig
am 20. Oktober 2013 ein Reenactment inszeniert.
daneben
Das von Alois Wünsche-Mitterecker gestaltete
»Figurenfeld« als Mahnmal für Frieden und Freiheit gegen
Krieg und Gewalt im Hessental bei Eichstätt.
links
Völs am Schlern, Gedenkbild für die im Ersten
Weltkrieg Gefallenen des Dorfes in der Turmvorhalle der
Pfarrkirche, ausgeführt vom Maler Ignaz Stolz.
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